TataRevolution in der Autobranche
Bislang hielten es alle Experten für unmöglich, ein Auto für einen solch niedrigen Preis zu produzieren, das gleichzeitig die Normen zur Sicherheit und zum Umweltschutz einhält. Lange Zeit hielt sich der Konzernchef Ratan N. Tata bedeckt, wie er diese Hürde überwinden könnte. Jetzt hat er das Ergebnis präsentiert: Der Nano (Zwerg) ist ein Auto, das ein wenig an den Smart erinnert, alle Funktionen eines vollwertigen Autos besitzt und sogar die Abgasnormen Euro IV einhalten will. Ratan N. Tata schildert seine Vision:
„Ich habe Familien gesehen, die auf einem Zweirad unterwegs waren - der Vater fährt den Motorroller, seine junges Kind stand vor ihm, seine Frau sitzt hinter ihm mit einem kleinen Baby im Arm. Ich fragte mich, ob man ein sicheres, erschwingliches und für alle Wetter geeignetes Auto für diese Familien bauen könnte. Unsere Ingenieure und Designer gaben die letzten vier Jahre alles, um dieses Ziels zu verwirklichen. Heute haben wir tatsächlich ein „Volksauto“, das bezahlbar ist und gleichzeitig die Anforderungen der Sicherheit und der Emissions-Normen erfüllt, das kraftstoffsparend und emissionsarm ist. Wir sind froh, dieses Volksauto in Indien vorstellen zu können, und wir hoffen, es bringt die Freude, den Stolz und den Nutzen eines Autos für viele Familien, für die persönliche Mobilität wichtig ist.“
Sollte das Auto tatsächlich ein Erfolg werden, dann droht der Autobranche weltweit eine Revolution. Denn alle etablierten Hersteller versprechen sich von den riesigen Märkten in China, Indien und anderen Schwellenländern enorme Wachstumsraten. Doch keiner sieht die Perspektive, zu einem derart niedrigen Preis, ein Auto anzubieten. Tata dringt mit seinem Nano in ein ganz neues Preissegment vor, das bislang keiner zu bedienen wagt. Das Auto fasziniert auch Boschs Indien-Chef Albert Hieronimus. Er ist einer der Lieferanten für Tata und prophezeit dem Nano im Interview mit dem Handelsblatt einen Erfolg.
„Die Inder schaffen einen komplett neuen Markt.“
Was macht die Konkurrenz? Volkswagen kündigt voller Stolz an, in den nächsten Jahren zwei Fahrzeuge für deutlich weniger als 10 000 Euro auf den Markt zu bringen. Auch wenn es VW gelingen sollte, eine indische Variante des New Small Family-Fahrzeugs zu produzieren, die noch günstiger ist, werden die Wolfsburger kaum an das Preissegment herankommen, das Tata nun bedienen will. VW-Vorstand Jochem Heizmann sagte dazu:
„Ein Billigauto für 3.000 Euro ist für uns in der heutigen Struktur nicht interessant.“
Werden die etablierten Autobauer den Wettbewerb in den Schwellenländern also verlieren? Das hängt im Wesentlichen davon ab, ob es Tata gelingt, mit dem Nano auch ausreichend Gewinn zu erzielen. Die Margen bei einem Auto für 1.730 Euro sind denkbar gering, wenn sich die Kosten überhaupt decken lassen. Das wiederum hängt von den verkauften Stückzahlen und den erzielbaren Skaleneffekten ab. Um Renditen zu erzielen, die mit denen von anderen Autobauern wie Toyota vergleichbar sind, müssen schon sehr viele Nanos verkauft werden. Und der durchschnittliche Industriearbeiter in Indien muss drei Jahresgehälter sparen, bis er sich den billigen Nano leisten kann.
Bis die Absatzziele erreicht werden, dürfte noch etwas Zeit bleiben. Zeit, in der sich auch die Märkte und Kundenanforderungen in den Schwellenländern weiterentwickeln. Schon heute ist China ein sehr attraktiver Markt für europäische Luxuskarossen. Porsche will China bis zum Jahr 2012 zum zweitwichtigsten Absatzmarkt entwickeln – nach den USA. Schon im letzten Jahr konnten doppelt so viele Cayennes und Co. verkauft werden, wie im Jahr zuvor.
Trotzdem: „Ohne Billigautos kein Wachstum“, sagt der Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer. In den nächsten zehn bis 15 Jahren werde fast das gesamte Wachstum der Autobranche in den Schwellenländern stattfinden. Und schon 2015 werde jedes dritte dort verkaufte Auto ein Kleinstwagen sein.
Was für viele Experten aber mehr zählt, ist die Wertschöpfung, die mit dem Autobau erzielt wird. Hier ist Willi Dietz, Direktor des Nürtinger Instituts für Automobilwirtschaft, bei den Kleinstwagen skeptisch. Insofern müssen sich auch Toyota, VW und die anderen Mittelklassehersteller nicht allzu sehr vor Tata fürchten. Mit klugen Autos zu einem vernünftigen Preis werden sie für spezifische Zielgruppen in den internationalen Wachstumsmärkten auch in Zukunft attraktiv sein. Denn nicht nur die Autos und ihr Preis verändern sich rasch, sondern auch die Kunden und ihre Bedürfnisse.
Das lernen Sie:
- Unternehmen, die mit ihren Angeboten radikal neue Preismodelle anbieten, verändern die Spielregeln einer ganzen Branche.
- Trotzdem ist auch dann der Preis nur ein Kaufkriterium für die Kunden. Wettbewerber müssen erkennen, mit welchen Produktmerkmalen sie ihre Zielgruppen am besten ansprechen und bedienen.
- Wenn in einer Branche eine (Preis-) Revolution angezettelt wird, müssen sich alle Anbieter neu positionieren und ihre Strategie aufeinander abstimmen.
- Neben Marktanteilen, Absatzzahlen und Wachstum sollte auch die Rendite ein wichtiges Entscheidungskriterium bleiben.
Weitere Informationen unter:
http://www.handelsblatt.com/...
Video der Financial Times Deutschland zum Tata:
http://www.ftd.de/_components/mediaplayer/player.html?id=301675
[jf]