UnternehmensmarkeSesam, öffne Dich!
Viele Marken inszenieren sich über anziehende Bilderwelten und eingängige Versprechen. Von „Vorsprung durch Technik“ bis „Leistung aus Leidenschaft“. Klassischerweise werden Marken positioniert und dann geführt von den Experten in Marketing und Unternehmenskommunikation. Markenführung läuft nach einem Plan mit Strategie, definierten Regeln und Kriterien, anhand derer sich feststellen lässt, ob die Aktivitäten des Unternehmens „on strategy“ sind. Dabei liegt der Fokus meist auf der Außenwirkung.
Markenführung ist oft außen hui und innen pfui
Markenführung ist häufig eine Verhaltensvorschrift, ein Knigge, der den Mitarbeitern sagt, wie sie sich im Kontakt mit der Außenwelt, meist mit Kunden, zu verhalten haben. Ein Blick hinter die Fassaden der Marken aber, in die Unternehmen hinein, zeigt häufig eine graue Ente, nach außen hingegen präsentiert sich ein prächtiger Schwan. Wo die Marke Leidenschaft für sich in Anspruch nimmt, herrscht innen reiner Zweckopportunismus, wo nach außen Inspiration und Lust auf Neues inszeniert wird, schieben die Mitarbeiter in Wahrheit Dienst nach Vorschrift, und der Innovationsfreude stehen langwierige interne Abstimmungsprozesse im Weg.
Im Prinzip ist gegen einen Unterschied von innen und außen nichts zu sagen. Auch viele Menschen verhalten sich im Kontakt mit Fremden anders als im vertrauten Familienkreis. Man räumt die Wohnung möglicherweise erst dann auf, wenn Besuch kommt, im Alltag herrscht ansonsten Chaos. Für ein solches Verhalten spricht das ökonomische Haushalten mit den eigenen Kräften. Eine ähnliche Ressourcenorientierung treibt vielleicht auch viele Unternehmen dazu, sich die graue Ente im Arbeitsalltag zu leisten und in den prächtigen Schwan nur dort zu investieren, wo es sich auszahlt, nämlich im Kontakt mit externen Zielgruppen, mit denen das Unternehmen Umsätze machen möchte.
Employer Branding ist verschärfte Markenentwicklung
Doch die Umwelt, in der Unternehmen agieren, verändert sich, und zwei Entwicklungen lassen diese „Außen-Schwan–innen-Ente-Mentalität“ riskant werden: Zum einen verschieben die demographische Veränderung und der Fachkräftemangel die Gewichte auf dem Arbeitsmarkt. Immer häufiger bewerben sich Unternehmen um qualifizierte Mitarbeiter statt wie früher Mitarbeiter bei Unternehmen. Als Reaktion darauf investieren Unternehmen in Employer Branding: Sie wollen auch als Arbeitgeber eine Marke mit Strahlkraft werden.
Doch Employer Branding ist Markenentwicklung unter verschärften Bedingungen. Der Imperativ der Glaubwürdigkeit, dem jede Markenentwicklung unterliegt, erlangt im Employer Branding besondere Bedeutung. Denn neue Mitarbeiter, die mit großartigen Versprechen wie Gestaltungsfreiräumen oder Entwicklungsperspektiven angeheuert wurden, möchten diese Versprechen auch eingelöst sehen. Sie nehmen es ausgesprochen übel, wenn es am Ende nur leere Versprechen waren.
Mitarbeiter sind Multiplikatoren der Unternehmensmarke
Nach einem knappen Jahrzehnt Employer Branding zeigt sich außerdem, dass es keine Arbeitgebermarke unabhängig von der Unternehmensmarke geben kann. Die Arbeitgebermarke ist eine besondere Facette der Unternehmensmarke. Potenzielle Mitarbeiter nehmen den Arbeitgeber immer im Kontext der gesamten Marke wahr und das Verhalten des Unternehmens als Arbeitgeber wiederum prägt das Image der Marke insgesamt. Durch Employer Branding werden alle Mitarbeiter und potenziellen Mitarbeiter zu Zielgruppen der Marke und zu Multiplikatoren, die ihre Erfahrungen mit der Marke mit anderen teilen.
So vervielfacht sich die Zahl der Touchpoints, an denen die Marke konsistent und im Sinne ihrer Positionierung wahrgenommen werden sollte. Jede Situation im Arbeitsalltag eines Mitarbeiters wird zum Touchpoint, an dem Marke sich bewähren muss. In der Konsequenz heißt das: Es gibt keine Trennung zwischen Innen und Außen. Die Büros der Mitarbeiter sind kein privates Wohnzimmer mehr, in denen sich ein Unternehmen gehen lassen kann, ohne dass es Einfluss auf das Markenimage hätte. So konnte die mittlerweile insovlente Drogeriekette Schlecker nicht verheimlichen, dass sie ihre Mitarbeiter bespitzelt. Entsprechend litt das eigene Markenimage. Das Wohnzimmer wird zum „open house“, in dem sich ständig Gäste aufhalten. So werden aus inszenierten Marken offene Marken.
Marken müssen sich der Transparenz des Internets stellen
Während Employer Branding „nur“ dafür sorgt, dass die privaten Räume der Marke stets allen offen stehen, setzt der Siegeszug von Social Media einen weiteren und kraftvollen Hebel an: Alles, was in diesen bisher privaten Räumen der Marke passiert, kann im Handumdrehen mit der ganzen Welt geteilt werden. Arbeitgeber werden von ihren Mitarbeitern oder auch Ex-Mitarbeitern auf Bewertungsplattformen wie Kununu bewertet. Und auch die kritische Öffentlichkeit geht mit Unternehmen hart ins Gericht. Marken wie Nestlé oder Adidas waren bereits Opfer sogenannter „Shitstorms“, in denen den Unternehmen allerlei Untaten vorgeworfen wurden. Sie wurden aufgrund realer oder vermeintlicher Enthüllung von Internetnutzern massenhaft an den digitalen Pranger gestellt.
Diese Beispiele sind nur der Anfang einer radikalen Transparenz, der sich Marken stellen müssen. So wie für einzelne Menschen durch Facebook und Co. ein Stück Privatheit schwindet, so verändert Social Media auch die Unternehmen. Es gibt keine Stabsstelle Markenführung mehr, die steuert, was von dem Unternehmen hinter der Marke für die Öffentlichkeit sichtbar wird und was nicht. Diese Situation bietet jedoch auch Vorteile, denn es ist ja eigentlich ein Traum der Marketingverantwortlichen, dass sich eine große Anzahl potenzieller Kunden freiwillig mit der Marke beschäftigen.
Eine große Chance also, die Beziehung zu den verschiedenen Stakeholdergruppen zu stärken und die Position im Markt auszubauen. „Märkte sind Gespräche“ formulierte das einflussreiche Cluetrain-Manifest 1999. Das heißt auch: Ein Markt entsteht und wächst nur dort, wo Gespräche stattfinden. Wo Schweigen herrscht, versiegt das Geschäft.
Cluetrain-Manifest
Das Cluetrain-Manifest ist der Titel einer Sammlung von 95 Thesen über das Verhältnis von Unternehmen und ihren Kunden im Zeitalter des Internets und der New Economy. Sie wurde 1999, also zu Hochzeiten des Dotcom-Booms, veröffentlicht und von zahlreichen bekannten Experten unterschrieben.
Quelle: Wikipedia
Markenbildung im Social Web birgt Chancen und Gefahren
Viele Unternehmen nutzen Social Media bereits fürs Personalmarketing beziehungsweise für den Dialog mit potenziellen Mitarbeitern. In Deutschland sind dies derzeit die Deutsche Telekom, Bayer sowie BASF, die dies intensiv betreiben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Fachhochschule Koblenz und der Employer-Branding-Agentur embrace im Jahr 2012. Durch die Vielzahl der Gespräche, in die Unternehmen über digitale Medien verwickelt werden, steigt auch hier die Zahl der Touchpoints der Marke ins Unermessliche.
Die Geschwindigkeit, mit der Kommunikation in sozialen Netzen funktioniert, macht es illusorisch, diese Kommunikation noch durch Markenstrategen in der Chefetage zu steuern. Jeder Mitarbeiter, der im Netz aktiv ist und dort beispielsweise über sein Xing-Profil einer Marke zugeordnet werden kann oder auch anonym seine Erfahrungen mit der Marke teilt, trägt eigenverantwortlich und in Echtzeit dazu bei, das Image der Marke zu gestalten. Durch wenige unbedachte Worte kann er massive Reaktionen im Netz auslösen, die der Marke schaden. Nicht von ungefähr legen Unternehmen ihren Mitarbeitern immer häufiger Social-Media-Guidelines ans Herz.
Best Practice: Markenführung bei Ikea
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich Marken öffnen werden beziehungsweise öffnen müssen. Offene Marken kennen keine Trennung zwischen Innen und Außen. Jede Handlung eines Mitarbeiters prägt das Markenimage und kann durch die Hebelwirkung von Social Media in das Rampenlicht einer öffentlichen Diskussion gebracht werden. Kluge Unternehmen haben das erkannt und profitieren von einer starken internen Markenidentität, die konsistent zur Positionierung der Marke auf den Absatzmärkten passt.
Ein Beispiel: Die Marke Ikea wird getragen von einer markanten und einzigartigen Unternehmenskultur, in der das konsequente „Du“ die Nähe von Führungskräften und Mitarbeitern fördert und skandinavischer Pragmatismus das Engagement der Mitarbeiter unterstützt. Das Unternehmen hat wohl erkannt, welcher Schatz diese starke interne Markenkultur ist und dass das Unternehmen davon profitiert, wenn Mitarbeiter auch extern sichtbar werden. Die aktuelle Kampagne „PS 2012“ gibt den neuen Einrichtungsgegenständen der Saison ein Gesicht und eine Geschichte: Designer berichten, wie sie einen Einrichtungsgegenstand entworfen haben und was sie bei ihrer Arbeit inspiriert hat.
Diese Einblicke gewährt Ikea über diverse Kanäle wie Anzeigen oder YouTube-Videos. So wird durch die Statements der Designer ein Stück des Innenlebens des Möbelhauses sichtbar. Es setzt seine internen Schätze gezielt ein, um Kunden zu begeistern. Die Kundenbeziehung wird direkter und in das Innenleben des Unternehmens hinein verlagert. Konsequent zu Ende gedacht, können die Mitarbeiter, die so sichtbar werden, dann auch in den direkten Dialog mit den Kunden gehen, zum Beispiel über Ikea „gebrandete“ aber persönliche Facebook-Accounts dieser Mitarbeiter.
Klar ist: Als Testimonials in einer Kampagne kann der Auftritt der Designer noch entlang eines Kommunikationsplans mit vorher definierten Botschaften funkionieren. Die Sichtbarkeit dieser Designer wird aber über die Kampagne hinaus bestehen bleiben, etwa durch die Erreichbarkeit über deren Profile auf Facebook oder LinkedIn. Diese Kampagne wird sich für Ikea nur dann auszahlen, wenn jeder der beteiligten Designer sich auch in ungeplanten Kontakten mit Kunden, zum Beispiel über Social Media, im Sinne der Marke verhält.
Führung muss markenspezifisch sein
Um die Chancen der offenen Marken zu nutzen und die damit verbundenen Herausforderungen zu meistern, braucht ein Unternehmen eine Unternehmenskultur, die zur Markenpositionierung passt. Außen Schwan und innen Ente funktioniert nicht mehr. Die Idee der Marke muss auch im Unternehmen am Arbeitsplatz täglich spürbar werden. Passen Einzelbüros mit einer „Kultur der geschlossenen Tür“ zu einer kommunikativen, dynamischen Marke? Würden Endlosmeetings ohne Entscheidung zu einer Marke passen, die sagt „Just do it“?
Neben der Gestaltung des Arbeitsplatzes und das Arbeitsstils spielt auch Führung eine entscheidende Rolle. Die Führungskräfte entscheiden, worauf ihre Mitarbeiter ihre Aufmerksamkeit lenken und an welchen Werten sie sich orientierten. Deswegen ist es von besonderer Bedeutung, dass Führung in einem Unternehmen markenspezifisch ist. Damit eine Marke konsistent in allen Handlungen eines Unternehmens gelebt wird, braucht es eine Führungsmannschaft mit einem gemeinsamen Führungsverständnis im Sinne der Marke. Nur wenn alle Führungskräfte die Marke konsistent und konsequent in jeden Winkel des Unternehmens tragen, nutzen die Unternehmen die Chancen offener Marken.