UnterschiedeVerhandeln Frauen anders als Männer?
Zum Thema Geschlechterunterschiede in der Verhandlungsführung gibt es viele Vorurteile und Stereotype. Einige sind zutreffend, andere überraschen hingegen. Glücklicherweise beschäftigt sich die wissenschaftliche Forschung schon seit Längerem mit diesem Aspekt. Gleichgültig, ob geschlechtsspezifische Stereotype tatsächlich (also statistisch messbar) zutreffen, beeinflussen sie Verhandlungen. Wenn sich bestimmte Annahmen in den Köpfen „festgesetzt“ haben, werden Verhaltensweisen, die sich aus den Annahmen ergeben, implizit erwartet.
Welche Stereotype gibt es?
Männer sind rationaler und logischer, während Frauen emotional und intuitiv sind. Männer fokussieren sich auf objektive Fakten, während Frauen sich eher auf den Beziehungsaspekt eines Miteinander konzentrieren. Von Männern wird also erwartet, dass sie Probleme abstrahieren und durch logisches Schlussfolgern lösen können. Von ihnen wird auch erwartet, autoritär und dominant aufzutreten, während Frauen sich passiver verhalten sollten. Wenn Männer und Frauen interagieren, tendieren Männer dazu, länger zu sprechen und öfter zu unterbrechen. Sie üben auch mehr Einfluss auf die Themen, die besprochen werden sollten, aus. Während Männer eine direktere Sprache nutzen, ist es bei Frauen eine differenzierte Sprechweise.
Bei persönlichen Interaktionen setzen Männer häufiger als Frauen eine „sehr intensive Sprache“ ein, um andere zu überzeugen. Sie neigen dazu, mit diesem Ansatz Erfolg zu haben. Auf der anderen Seite verwenden Frauen eine eher weniger konfrontative Sprache, während sie zu überzeugen versuchen. Sie sind auf diese Weise meist effektiver. Wenn Frauen argumentieren, bauen sie viel häufiger abmildernde Satzteile wie „Ich denke“ oder „Sie wissen“, um die Sprache gewaltfrei zu gestalten. Dies führt jedoch auch dazu, dass sie als weniger durchsetzungsstark wahrgenommen werden.
Männer erwarten häufig, dass Frauen sich in Verhandlungen wie „Damen“ benehmen. Offensichtliche Aggressivität, die auf männlicher Seite als leidenschaftliches Eintreten für eine Sache angesehen wird, wird als beleidigend und bedrohlich eingestuft, wenn sie von Frauen eingesetzt wird. Dies gilt insbesondere, wenn Frauen „unanständige“ Ausdrücke verwenden und ihre Stimme erheben. Männliche Verhandlungsführer würden diesen Taktiken - wenn von anderen Männern ausgeführt - sofort mit Gleichem entgegnen. Sie haben jedoch häufig Schwierigkeiten, Vergeltungsmaßnahmen gegen „Damen“ einzuleiten.
Geschlechtsspezifische Unterschiede beim Verhandeln
Wenn die Verhandlungspartner wenig über den Verhandlungsspielraum wissen und nicht angemessene Standards zur Erzielung einer Einigung nutzen, steigt die Mehrdeutigkeit einer Verhandlung. Die Subjektivität des Erlebens gewinnt die Oberhand. Je vielschichtiger die Verhandlung, desto wahrscheinlicher werden geschlechtsspezifische Trigger den Verhandlungsverlauf und das Ergebnis beeinflussen. Geschlechtsspezifische Trigger sind situative Signale, die geschlechtsspezifische Unterschiede in der Bewertung von Präferenzen, Erwartungen und Verhalten auslösen. Einige situative Rahmenbedingungen weisen Trigger auf, die eine überlegene Performance von Frauen fördern, andere die von Männern. Diese Trigger spiegeln eher anhaltende Stereotype und Verhaltensvorurteile wider, als dass sie angeborene Unterschiede zwischen Männer und Frauen beschreiben.
Generell in Verhandlungssituationen
Männer steigen mit einer hohen Forderung in eine Verhandlung ein. Sie sind auf einen „guten Kampf“ vorbereitet. Oft zeigen sie Anzeichen von übersteigertem Selbstvertrauen. Das Selbstvertrauen kann sogar Kompetenz übertrumpfen. Männer tendieren dazu, mehr Selbstvertrauen in leistungsorientierten Settings auszustrahlen, selbst wenn sie schlecht oder gar nicht vorbereitet sind. Am besten sind Männer, wenn sie für sich selbst verhandeln (Principal-Ansatz).
Frauen machen vernünftige erste Angebote, die nicht unverschämt wirken sollen und eine sichere Wahl für sich und den Gegenüber sind. Integrität ist ihnen wichtig. Sie hegen oft den Wunsch, gemocht zu werden. Sie zeigen weniger Selbstbewusstsein und fühlen sich kaum ausreichend vorbereitet. Frauen verhandeln am besten im Namen von anderen (Agent-Ansatz).
Für Männer ist eine Verhandlung vergleichbar mit dem „Gewinnen eines Spiels“. Für Frauen hingegen ist das Verhandeln unangenehm, so ähnlich wie der Zahnarztbesuch.
Männer neigen in stressigen Situationen eher zum „Ausflippen“. Frauen hingegen behalten mehr die Ruhe. Sie achten mehr auf die nonverbalen Signale ihres Gegenübers als die männlichen Kollegen und sind viel besser in der Evaluation und Dokumentation von Verhandlungen.
Taktiken
Männer setzen viel häufiger distributive Taktiken ein: Drohungen, Ultimaten, Drama, Auge-um-Auge. Ihre Sprache ist viel schärfer. Der Augenmerk liegt darin, den Gegenüber zu überzeugen oder zu überreden. Wenn sie mit Aggressivität von weiblichen Verhandlungspartnern konfrontiert werden, fällt es ihnen schwer, mit „gleicher Münze“ zurückzuzahlen. Manche scheuen sich auch, die Verhandlung so kompetitiv anzugehen, wie sie es bei männlichen Verhandlungsgegnern machen würden. Gleichzeitig nehmen Männer an, dass Frauen viel weniger „Spielchen spielen“ als männliche Kontrahenten. Treten Frauen bestimmter auf, wollen manche Männer einen psychologischen Vorteil erzielen, indem sie die Kontrahentin verleumden und an ihre Weiblichkeit appellieren.
Frauen setzen viel häufiger kooperative, integrative Taktiken ein. Ihre Sprache ist viel ausgleichender und sie hören aufmerksamer zu. Frauen übersehen bei anderen Frauen allerdings auch leicht machiavellistische Verhaltensweisen, weil dieses Verhalten typischerweise mit der kompetitiven männlichen Verhaltenskultur verbunden wird.
Ängste
Männer haben Angst zu verlieren. In manchen Untersuchungen hatten Männer besonders Angst davor, gegen weibliche Kontrahenten zu verlieren. Einige hätten lieber das Scheitern der Verhandlung in Kauf genommen, als das Risiko einzugehen, von einer Frau „geschlagen“ zu werden. Frauen hingegen haben oft Angst vor dem Erfolg. Sie fürchten, dass sie durch den Erfolg von anderen als weniger weiblich wahrgenommen werden.
Verhalten in kompetitiven Situationen
Männer sind eher bereit, Verletzungen oder Vertrauensbrüche zu kaschieren. Sie neigen eher dazu, zu lügen oder sich selbst zu belügen, um das eigene Bild von sich selbst aufzubessern. Männer akzeptieren extreme Verhandlungsergebnisse eher, wenn diese von männlichen Kontrahenten erzielt wurden, als von weiblichen.
Frauen und Männer sind ähnlich erfolgreich in Situationen, in denen es nur um die Maximierung des Gewinns geht. Das sind Situationen, in denen die Berücksichtigung anderer Faktoren nebensächlich ist. Anders in einem kompetitiven, wettbewerbsorientierten Umfeld. Immer dann, wenn die eigene Leistung mit der einer anderen Person verglichen wird, schneiden Männer besser ab. Das liegt nicht daran, dass Frauen bei hohem Wettbewerbsdruck schlechter performen als bei weniger Wettbewerb. Es liegt eher daran, dass Männer den Wettbewerb per se als Motivator sehen und so eine höhere Leistung erzielen.
In kompetitiven Situationen neigen Frauen dazu, anfangs vertrauensvoller und vertrauenswürdiger zu sein. Sie fokussieren sich nicht so sehr auf sich selbst, sondern auf die anderen und auf Maßnahmen, die andere dazu bringen sollen, sich besser zu fühlen. Zahlreiche Frauen sind besorgt, dass ihre Erfolge in wettbewerbsorientierten Situationen negative Konsequenzen für sie haben könnten, vor allem dass diese sie von anderen entfremden würden.
Selbst Frauen stehen anderen Frauen kritisch gegenüber, die außergewöhnlich gute Ergebnisse erzielen. Oft ist diese Skepsis gegenüber Gleichgeschlechtigen größer, als die kritische Haltung von Männer gegenüber erfolgreichen Frauen.
Wahrnehmung und Erwartungen
Männer wie Frauen gehen überwiegend davon aus, dass Männer eher wettbewerbshungrige, manipulative win-lose Verhandler sind, die ihre Gegner unbedingt besiegen wollen. Wenn Männer erfolgreich sind, werden ihre Leistungen in der Regel auf intrinsische Faktoren wie harte Arbeit und Intelligenz zurückgeführt.
Von Frauen wird erwartet, dass sie zuvorkommende win-win Verhandlerinnen sind, die der Beibehaltung bestehender (Geschäfts-)Beziehungen einen sehr hohen Stellenwert beimessen, und dass sie versuchen, den gemeinsamen Mehrwert beider Parteien zu maximieren. Wenn Frauen erfolgreich sind, werden ihre Leistungen eher auf extrinsische Faktoren wie Glück oder Hilfe anderer Personen zurückgeführt.
Einstellung zu guten Verhandlungsergebnissen
Männer neigen dazu, ausgleichende Handlungen zu erwarten (Geben-Nehmen) und streben ein Verhandlungsergebnis an, das das gefühlte Machtungleichgewicht widerspiegelt. Frauen streben hingegen eher nach einem gerechten Austausch und stellen ein Machtungleichgewicht hinten an. Selbst wenn sie sich in einer besseren Verhandlungsposition wähnen, lassen sie sich nicht dazu hinreißen, den anderen über den Tisch zu ziehen.
Tipps für weibliche Verhandlungsführer
Zum Nutzen einer Gruppe verhandeln
Wenn Sie in einem hoch kompetitiven Umfeld verhandeln, framen Sie Ihre Forderungen mit Ihren Leistungen für den Bereich, die Abteilung oder das Team. Dadurch verhandeln Sie indirekt für eine Gruppe und zeigen gleichzeitig, dass Ihnen das Wohl der anderen am Herzen liegt.
Entgegenkommen sichtbar machen
„Labeln“ Sie Zugeständnisse. Wenn Sie Ihrem Gegenüber große oder kleine Zugeständnisse machen, stellen Sie sicher, dass Sie diese hervorheben. Forschungen zeigen, dass Entgegenkommen bei Frauen oft als etwas Selbstverständliches erachtet wird. Von Männern wird weniger erwartet, dass sie Zugeständnisse machen. Zugeständnisse von Männern fallen eher auf, da Entgegenkommen nicht zu den Stereotypen männlicher Verhandler passt. Wenn Sie als Frau in einer Verhandlung eine Forderung fallen lassen und Entgegenkommen zeigen, stellen Sie sicher, dass das Entgegenkommen auch wahrgenommen wird. Weisen Sie darauf hin.
Der eigene Vorteil ist nicht unanständig
Machen Sie sich bewusst, dass es legitim ist, wenn man für sich selbst günstige Bedingungen erreichen möchte.
Gemeinsamkeit betonen
Appellieren Sie an Gemeinsamkeiten und gemeinsame Ziele.
Die Position statt die Person zur Verhandlerin machen
Wenn Sie befürchten, dass Ihr Ansehen leidet, wenn Sie hart verhandeln, argumentieren Sie aus Ihrer Position heraus, nicht ausschließlich als Person. Sagen Sie zum Beispiel „Für mich als Bereichsleiterin …“, oder „Ich wäre keine gute Führungskraft, wenn …“. Nutzen Sie die verschiedenen Rollen, die Sie innehaben, zum Beispiel Arbeitsdirektorin, Vorstand, Managerin.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Nutzen Sie „außerhalb der Norm“ – Argumentationen. Sie können Gegenargumente einleiten, indem Sie zum Beispiel sagen „Normalerweise würde mich dieses Problem nicht stören, aber …“
Nicht generalisieren – nicht alle Männer sind so
Vernetzen Sie sich mit anderen, die weniger gendersensitiv sind, die eher individuelle Unterschiede anerkennen, Erfahrung und Persönlichkeit hervorheben und nicht ausschließlich auf das Geschlecht orientiert sind. Das wird Ihnen helfen, die eigenen „Fallen“ abzumildern.
Die Latte hoch legen
Überlegen Sie sich, was Sie wirklich in der Verhandlung erreichen können, statt mit einer „sicheren Wahl“ in die Verhandlung zu gehen und mit dem real case zu ankern.
Auf Geschlechter-Stereotype vorbereiten
Wie reagieren Sie auf Geschlechter-Stereotype und wie könnten Sie angemessener darauf reagieren? Spielen Sie mehrere Situationen durch und üben Sie Reaktionen ein. Dadurch mindern Sie die Empörung und lassen den Überraschungseffekt verpuffen, wenn Ihr Gegenüber Sie tatsächlich wegen Ihres Geschlechts angreift.
Belastende Geschlechter-Stereotype zur Sprache bringen
Wenn Sie während der Verhandlung merken, dass Geschlechter-Stereotype Ihren Verhandlungserfolg zu gefährden drohen, sollten Sie es ansprechen, um den Einfluss zu verringern. Fragen Sie Ihren Verhandlungspartner, ob er es schwierig findet, mit einer Frau zu verhandeln. Viele Männer werden dies sofort verneinen – selbst wenn es der Fall ist – und eventuell die eigene Verhaltensweise überdenken.
Wer unterschätzt wird, ist im Vorteil
Männer und Frauen erwarten von weiblichen Verhandlungspartnern in der Regel ein geringes kompetitives Verhalten. Das verschafft Ihnen einen Verhandlungsvorteil. Wenn Sie mit einer anderen Frau verhandeln, bereiten Sie sich darauf vor, wie auf jede andere Verhandlung auch. Und gehen Sie davon aus, dass sie dieselben Taktiken wie Männer einsetzen wird. Dadurch sind Sie auf der sicheren Seite. Wenn Sie in eine Verhandlung reingehen und merken, dass Ihr Gegenüber von Ihnen einen anfänglichen kooperativen, fast kuschenden Verhandlungsstil erwartet hat, treten Sie bestimmt und selbstbewusst auf. Seien Sie sich bewusst, dass aufgrund der Stereotype Ihrer Verhandlungspartner Ihre eigene Verhandlungsmacht zugenommen hat.
Nur kurz auf einen Angriff eingehen
Gegenüber männlichen Verhandlungspartnern, die gegen Ihr (ansonsten korrektes) Verhalten heftige Einwände erheben, sollten Sie antworten, dass Sie nicht als „Dame“ betrachtet werden möchten, sondern lediglich als Teilnehmer der Verhandlung. Somit sollte das Geschlecht irrelevant sein.
Eigene Freude am Verhandeln steigern
Gehen Sie mit positiven Emotionen in die Verhandlung. Nutzen Sie vor einer Verhandlung positive Gedanken, um positive Emotionen zu erzeugen. Denken Sie an etwas Schönes oder machen Sie etwas, das Ihnen viel Freude bereitet. Dies führt zu mehr Kreativität, Offenheit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit – unerlässlich für eine erfolgreiche Verhandlung.
Emotionale Intelligenz verbessern
Nutzen Sie Ihre Emotionale Intelligenz. Wenn Sie sich der eigenen Gefühle bewusster werden, kann das Ihr Selbstvertrauen erhöhen. Es verringert die Intensität von Emotionen und verringert die Gefahr vorschneller Reaktionen. Diese emotionale Kontrolle kann Frauen dabei helfen, erfolgreicher zu verhandeln und ihnen mehr Selbstsicherheit geben, insbesondere in schwierigen Situationen. Ein stärkeres Bewusstsein für die Emotionen anderer Personen während einer Verhandlung kann Frauen dabei helfen, ihre Bedürfnisse und Interessen besser zu verstehen, wodurch integrative Lösungen leichter gefunden werden können.
Emotionale Intelligenz kann durch Achtsamkeitstraining verbessert werden. Sie können zum Beispiel Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Atem konzentrieren, jedes Mal wenn Sie merken, dass Ihr Verstand „wandert“. Dadurch erhöhen Sie Ihre Konzentrationsfähigkeit und senken die emotionale Reaktionsschnelligkeit der Amygdala (die in Situationen aktiviert wird, die als gefährlich, überwältigend oder bedrohlich empfunden werden).