UrteilsfindungIst bei Chinas Automobilindustrie alles nur geklaut?

Seit Anfang Mai stehen die ersten chinesischen Pkw-Modelle in deutschen Autohäusern. Preiswerte Alternative oder billige Plagiate? Vielen Vorurteilen zum Trotz arbeiten namhafte deutsche Autokonzerne mit den Herstellern aus Fernost zusammen.

Der Link auf der Homepage des Autohauses Scharmach im Duisburger Norden wirkt eher unspektakulär. „Deutschland Premiere Brilliance“ steht dort, ganz unten und nicht besonders auffällig. Ein Klick und der Besucher blickt, höchstwahrscheinlich zum ersten Mal, auf die Front eines chinesischen Wagens. Seit Anfang Mai ist das Autohaus der Familie Scharmach das erste in Deutschland, in dem es Pkw aus Fernost zu kaufen gibt. Der Brilliance BS 6 2.0 Deluxe, der einem im Internet in die Augen schaut, kostet rund 23.000 Euro und soll, so steht es im Werbefenster, viel Luxus bieten. Es ist der Start einer deutschlandweiten Offensive. Der Plan: Bis Ende 2007 will die Marke Brilliance hierzulande 150 Händler haben und 2008 flächendeckend vertreten sein.

Autobau mit europäischem Know-how

Bereits vor zwei Jahren hatte sich schon einmal ein chinesischer Autobauer auf den deutschen Markt gewagt – und ist kläglich gescheitert. Brilliance-Wettbewerber Jiangling fiel mit seinem Produkt „Landwind“ beim ADAC-Crashtest sang- und klanglos durch. Der ergab, dass die Fahrgastzelle bei einem Frontalaufprall mit 64 Kilometern pro Stunde vollkommen zusammenbricht – eine Überlebenschance für den Fahrer sei ausgeschlossen. Laut ADAC habe in der 20-jährigen Geschichte des Tests kein Fahrzeug schlechter abgeschnitten.

Jiangling selbst weist die Vorwürfe von sich und stattdessen auf die Qualitätsnorm ISO9001-2000 hin, die das Unternehmen erfülle. Zudem habe der ADAC Jiangling nicht ausreichend über die Testergebnisse informiert. Beim Bau des Geländewagens orientiert sich das chinesische Unternehmen an der Karosserie des Opel Frontera, der seit 2003 nicht mehr produziert wird. Die Motoren stammen von Mitsubishi und Isuzu. Nach dem Gau mit dem „Landwind“ möchten Chinas Autobauer nun dazulernen. Yale Zhang, Chefanalyst des Branchenforschers CSM Auto in Shanghai, sagte der Financial Times Deutschland (FTD):

Die Fortschritte bei Qualität und Design sind enorm. Was früher Jahrzehnte brauchte, haben chinesische Hersteller in wenigen Jahren geschafft.“

Qualität ist das Stichwort. Viele werfen den Chinesen vor, sie würden sich an etablierten internationalen Marken orientieren und einfach abkupfern. Ein Blick in die Praxis verschafft Aufklärung und zeigt, dass die Autobauer aus Fernost durchaus auch auf das gewollte Know-how europäischer und auch deutscher Firmen zurückgreifen. Brilliance beispielsweise konzipierte seinen BS 6 mit dem italienischen Pkw-Designer Giugiaro und bekam dafür Tipps vom Partner BMW. Der bayerische Konzern baut im nordchinesischen Shenyang seine 3er- und 5er Modelle in einem Joint Venture mit Brilliance.

Auch Konkurrent Chery hat in Kooperation mit einem unabhängigen Antriebsentwickler aus Österreich schon eine eigene Motorenlinie entwickelt. Deren Qualität ist anscheinend so gut, dass Fiat sogar bis zu 100.000 Chery-Motoren pro Jahr in seine in China produzierten Modelle einbauen lassen möchte. Und auch Partner Daimler-Chrysler meldet sich positiv zu Wort und spielt mit dem Gedanken, bei Chery günstige Kleinwagen für den Export in die USA bauen zu lassen. Ulrich Walker, Nordasienchef von Daimler-Chrysler erklärte gegenüber der FTD:

Die Chinesen lernen schnell. Und es gibt eine große Anzahl hochqualifizierter Ingenieure im Land.“

China-Marke Brilliance: Schlechtes Testergebnis

Mit der Pleite gegangenen britischen MG Rover Group stand ein weiterer europäischer Autohersteller Pate für ein neues chinesisches Fahrzeugmodell. Die Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC), eine Gruppe von Auto-, Motorrad- und Autoteileherstellern, kaufte sich die Lizenzen der Modelle „Rover 75“ und „Rover 25“ und war bei der diesjährigen Shanghaier Automesse mit dem oberen Mittelklasse-Modell „Roewe“ der Star. SAIC ist bereits Kooperationspartner von General Motors und Volkswagen in China und hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2010 zu den sechs größten Automobilherstellern weltweit zu gehören. Am 8. August 1998 rollte das erste Fahrzeug des Autobauers Geely vom Band. Im Chinesischen bedeutet der Name soviel wie „Vielversprechendes, vorteilhaftes Automobil“. Bereits 2003 konnte das Unternehmen die Produktion des 100.000sten Pkw vermelden.

Was in Duisburg-Meiderich im Autohaus der Scharmachs begann, soll sich bald auf ganz Europa ausbreiten. Brilliance plant, ab 2010 60.000 Autos im Jahr zu verkaufen, davon rund 12.000 in Deutschland. Laut Hans-Ulrich Sachs, geschäftsführender Gesellschafter des Generalimporteurs HSO, erfüllt der Wagen die Emissionsschutzvorgaben, Probleme gäbe es noch beim Fußgängeraufprallschutz. Doch noch fehlen etliche EU-Zulassungen, damit der Chinese hierzulande auch fahren darf. Dies ist aber beileibe nicht das einzige Manko. Laut einem Fahrbericht des Nachrichtenmagazins FOCUS spricht kaum etwas für den Kauf des Brilliance BS 6. Das Fazit: Für den angebotenen Preis sei das Gefährt viel zu teuer und in vielen Kriterien schlechter als die Wettbewerber. Außer guten Platzverhältnissen und einer ordentlichen Ausstattung sprächen vor allem folgende Dinge gegen einen Kauf:

  • Veraltete Motoren
  • schlechte Fahrleistungen
  • gefühllose Lenkung
  • schwankende Verarbeitungsqualität
  • keine Lieferung von ESP möglich

Das lernen Sie:
  1. Trotz zahlreicher Kopien etablierter Marken arbeiten bekannte Automobilhersteller mit chinesischen Herstellern zusammen.
  2. Der Vorteil einer Zusammenarbeit mit China liegt auch im technischen Know-how dortiger Ingenieure.
  3. Um dauerhaft an den internationalen Märkten bestehen zu können, müssen chinesische Fahrzeugbauer mehr auf Qualität achten.


Links

Brilliance Auto

Jiangling Motors

Geely International Corporation

Automesse Peking: Der größte Copy-Shop der Welt

[dw, Bilder: autoreporter.net]

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