VeränderungErfolgreich digital transformieren

Was ist das Erfolgsrezept für die digitale Transformation von Unternehmen? Zunächst: weg mit Stolpersteinen. Und dann: die richtigen Strategien. Eine Anleitung für den digitalen Wandel.

Hätte sich die Schweizer Uhrenindustrie vor zehn Jahren träumen lassen, dass sie als Wettbewerber plötzlich einen Mobiltelefonanbieter hat? Wohl eher nicht. Heute sind es nicht nur Apple sondern auch Samsung und einige andere Technologieanbieter, die bekannten Luxusmarken wie Rolex oder IWC Konkurrenz machen.

Dies ist nur eine Facette der vielschichtigen Effekte der Digitalisierung. Für etablierte Unternehmen gilt es, sich dieser Gefahr nicht nur bewusst zu sein, sondern auch passende Strategien zu entwickeln, um im Wettbewerb bestehen zu können. Deshalb wollen wir uns der Frage nähern, mit welchen Stolpersteinen Unternehmen bei der digitalen Transformation rechnen müssen. Wir greifen hierzu auf ein Konzept zurück, das der Harvard Professor John P. Kotter entwickelt hat, um die Chancen strategischer Veränderungsprozesse zu erhöhen. In seinem Artikel „Leading Change: Why transformation efforts fail“ skizziert er acht zentrale Stolpersteine aus Managementsicht und erarbeitet hierzu Lösungsempfehlungen.

Kein Erkennen der Notwendigkeit des Wandels

Oft werden die Notwendigkeit und Dringlichkeit des Wandels nicht frühzeitig erkannt beziehungsweise nicht breit und konsequent ins Unternehmen transportiert. Neben strategisch-wirtschaftlichen Argumenten wird häufig unterschätzt, mit welch hohen emotionalen und psychologischen Barrieren solche Veränderungen für die gesamte Belegschaft verbunden sind. So müssen Mitarbeiter bestehende, oft unbewusst geprägte Weltbilder aufgeben. Die Pressebranche kann ein Lied davon singen. Generationen von Journalisten sind mit gedrucktem Papier aufgewachsen, dessen Inhalt Verleger mit Anzeigen quersubventioniert haben.

Doch wie schafft man als Führungskraft positives Momentum? Wie bringt man die eigenen Manager aus der „analogen Komfortzone“? Auf ausreichend hohen wirtschaftlichen Druck zu warten, der für alle direkt erfahrbar ist, könnte eine naheliegende Strategie sein. Zeigt doch die Praxis, dass sich in schwierigen Zeiten weitreichende, schmerzhafte Veränderungen leichter durchdrücken lassen. Man denke nur an die große Stahlkrise in den 1980er Jahren und die massiven Schließungen von Zechen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass gerade im Kontext des digitalen Wandels abwarten die Zukunft kostet. Einerseits sorgt ein negatives Umfeld für paralysierte Mitarbeiter. Die Kreativität, die es zum Umbau bestehender beziehungsweise zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle braucht, bleibt dann zwangsläufig auf der Strecke. Oder die besten Köpfe verlassen schnell das Unternehmen. Andererseits limitieren knappe Budgets den Spielraum für neue, zukunftsgerichtete Investitionsprojekte. Man arbeitet mit halbgaren Kompromisslösungen und spart sich zu Tode.

Das eigentliche Gegenargument ist ein anderes: Komplexe Veränderungsprozesse kosten viel Zeit. Wer rechtzeitig fertig sein will, muss frühzeitig anfangen. Noch in guten Zeiten bereits den Wandel zu initiieren ist nicht trivial. Nicht umsonst gibt es im angelsächischen Raum das geflügelte Wort von „Leaders tend to lose“. Es ist ureigenste Führungsaufgabe, rechtzeitig und mit Nachdruck das Gefühl für die Notwendigkeit der Veränderung zu erzeugen, ohne dabei gleichzeitig Angst und zu große Unsicherheit bei den Stakeholdern auszulösen. Gleichzeitig ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn wer zu häufig Feuer ruft, ohne dass es brennt, wird irgendwann nicht mehr gehört – selbst wenn die Hütte lichterloh in Flammen steht.

Keine starke Führungskoalition

Stolperstein zwei: Es wird keine starke Führungskoalition aufgebaut, die für den digitalen Wandel steht und diesen treibt. Wer sich eingehender mit Erfolgsgeschichten großer Transformationsprozesse befasst, wird schnell feststellen, dass die dortigen Führungspersönlichkeiten eine starke „Guiding Coalition“ etabliert hatten. Hier ist die Schweizer Uhrenindustrie ein gutes Beispiel, denkt man zum Beispiel an die erste Erfolgsgeschichte von Swatch. Nicolas G. Hayek gelang es, mit seinem Konzept einem toten Markt neues Leben einzuhauchen. Seine „Schöpferische Zerstörung“ von technischer Struktur der Uhr auf der einen und ihrer bisherigen Funktion in den Augen des Konsumenten auf der anderen Seite schaffte die Grundlagen für nachhaltige Differenzierung im Wettbewerb. Er und sein Team aus jungen, kreativen Köpfen und erfahrenen Projektmanagern waren die „Guiding Coaltion“, die wirtschaftlichen Erfolg möglich machten.

Das Topmanagement muss jedoch stets der Ausgangspunkt und Treiber der Veränderungen sein. Für den digitalen Wandel muss sichergestellt sein, dass in der Führungsgruppe keine Uneinigkeit zwischen CEO und CFO sowie CIO und CTO besteht. Das beständige Klagen der Business- und der IT-Seite hinsichtlich der gegensätzlichen, unverständlichen Interessenlagen ist ebenfalls problematisch. Ob nun der CIO oder doch vielleicht eher der CTO die kritischere Position im Team ist, hängt davon ab, welche Faktoren im Geschäftsmodell vom digitalen Wandel betroffen sind beziehungsweise wie die Vision für die Zukunft aussieht. Es macht zwangsläufig einen Unterschied, ob man als Herausforderung die Digitalisierung der Prozesskette auf der Back-Office-Seite im Blick hat, oder ob es darum geht, einem bisher analogen Produkt ein digitales Herz einzuhauchen.

Keine Vision vom Wandel

Oft fehlt auch eine Vision vom Wandel beziehungsweise diese ist nicht operationalisierbar. Zu Beginn klang bereits an, dass digitaler Wandel nicht um des digitalen Wandels Willen geschieht, sondern es einer Vision bedarf, die als Richtschnur skizziert, wohin die Reise für ein Unternehmen geht. „Wir werden zum Google der XY-Industrie“ oder „alle unsere Produkte werden zu Apps“ als Vision zu formulieren mag bestenfalls noch den modischen Zeitgeist treffen. Es erfüllt aber nicht die Kriterien, die eine Vision haben soll: vorstellbar, erstrebenswert, machbar, fokussiert, flexibel und vermittelbar.

Unterzieht man Visionen für eine digitale Zukunft diesem Lackmustest, scheitern viele zunächst an der Machbarkeit: Bietet die Vision tatsächlich erreichbare Ziele vor dem Hintergrund des bestehenden Status quo des Unternehmens und des Umfeldes? Zweitens: Ist die Vision fokussiert, also klar genug formuliert, um als Entscheidungshilfe im Transformationsprozess zu dienen? Hier kann und muss sich der CIO mit seiner Technologie-Expertise in die Entwicklung der Vision einbringen und auch für einen Reality-Check sorgen dürfen, ohne gleich als Bremser gebrandmarkt zu werden.

Ein positives Beispiel für eine starke Vision kommt aus den frühen Tagen der IT-Industrie. Bill Gates und Paul Allen hatten bei der Gründung von Microsoft die Vision: „A computer on every desk and in every home“. Mit dieser Vision schufen sie ein Bild der Zukunft, das intuitiv vorstellbar war. Selbst in einer Zeit, in der Computer noch größer waren als Garagen. Als Leitlinie ermöglicht diese Vision Zielgruppen abzuleiten (Desk = Büro und Home = Privater Bereich) und indirekt auch die Rahmenparameter festzulegen wie etwa die Frage, wie teuer ein Computer sein darf, damit ihn sich jeder leisten kann.

Keine Kommunikation der Vision

Stolperstein vier: Die Vision und Veränderungslage werden nicht, zu wenig oder über die falschen Kanäle kommuniziert. Eine alte Führungsregel lautet: „You can’t overcommunicate“. Aber selbst viel Kommunikation kann den Versuch der digitalen Transformation ad absurdum führen, wenn diese nur über die traditionellen Kanäle stattfindet. Es mutet geradezu grotesk an, wenn sich etwa ein namhaftes Handelsunternehmen digital neu ausrichten will und das Führungsteam mit den Mitarbeitern noch über E-Mail-Verlautbarungen und die Projekt-Intranetseite kommuniziert. Der Einsatz von Social Media? Fehlanzeige.

Digitaler Wandel betrifft nicht nur die Geschäftsmodelle, sondern auch die Art und Weise der Kommunikation durch Führungskräfte. Man kann von doppelter digitaler Transformation sprechen: im Geschäftsmodell und in der Führungskommunikation. Wer auf die Nutzung von Social Media verzichtet, verschenkt wichtiges Potenzial im Change-Prozess.

Kein Entfernen von Hindernissen für die Umsetzung

Neue Initiativen scheitern häufig daran, dass unnötiger Sand im Getriebe bei der Umsetzung nicht konsequent entfernt wird. Im Sinne des Strategen Carl von Clausewitz gilt: „Wer die Ziele will, muss auch die Mittel wollen!“ Es müssen also immer die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Natürlich wird in digitalen Veränderungsprozessen zwangsläufig nach neuen IT-Applikationen und IT-Infrastruktur gerufen. Es ist ebenso unbestritten, dass gerade IT-Legacy-Systeme eine der größten Barrieren sind, die aus dem Weg geräumt beziehungsweise – falls möglich – konsequent integriert werden müssen.

Voraussetzungen müssen aber auch in anderen Bereichen geschaffen werden. Auch diese haben vielfach direkte Kontaktpunkte mit der IT. Dies gilt zum Beispiel für Controlling-Systeme. So zeigt eine Studie, dass die zeitgemäße Steuerung von Unternehmen weitaus stärker die Aspekte „Self Service“, „Mobilität“ sowie „Echtzeitdaten“ berücksichtigen muss. Durch die gezielte Integration von internen und externen Daten im Verbund mit schnelleren Zugriffs- und Verarbeitungsgeschwindigkeiten eröffnen sich neue Anwendungsfelder für Controlling-Maßnahmen mit Echtzeitdaten. Im Online-Handel etwa hilft der Einsatz von Simulationen und Advanced Analytics, knappe Ressourcen gezielt einzusetzen und mit hoher Treffgenauigkeit zu jedem Zeitpunkt die richtigen Kundengruppen zu adressieren.

Auch bei mobilen Endgeräten erwarten Nutzer eine intuitive Bedienung, hohe Interaktionsmöglichkeiten mit den Applikationen und eine gute Visualisierung – alles Aspekte, durch die sich klassische Controlling-Anwendungen bisher eher nicht ausgezeichnet haben. Für den CIO und die IT gilt es, hier den Schulterschluss mit dem Controlling zu suchen, um sich intern gemeinsam als Business Partner 2.0 zu positionieren. Nur dann wird es möglich sein, den Grad an Steuerungstransparenz zu erreichen, den die schnell drehenden digitalen Geschäftsmodelle erfordern.

Keine Quick Wins

Stolperstein sechs: Quick Wins stellen sich nicht ein oder werden nicht systematisch geplant. Transparenz beziehungsweise Sichtbarkeit bedarf es auch für etwas Grundlegendes im Transformationsprozess: die ersten Erfolge. Sie reduzieren Unsicherheit in Veränderungsprozessen für Mitarbeiter und für Kunden. Sie helfen, wichtiges weiteres Momentum aufzubauen und nehmen Kritikern und Zweiflern den Wind aus den Segeln. Hier gilt es, das richtige Maß zwischen hoher Geschwindigkeit und den „richtigen“ ersten Erfolgsmeldungen zu finden.

Gerade mit Blick auf die jungen Kundensegmente muss beim Sprung in die Smartphone-Welt der erste Schuss sitzen, denn einen zweiten gibt es oft nicht. Ebenso wie attraktive Webseitenangebote oder Apps teils lawinenartig über Mund-zu-Mund-Propaganda neue Kunden und Nutzer gewinnen, gilt oft auch der umgekehrte Fall. Die App, die nicht funktioniert, der nicht geplante oder schlecht platzierte Quick Win, wird schnell zum ersten Sargnagel.

Kein Abschneiden alter Zöpfe

Oft fehlt es auch am Mut, alte Zöpfe komplett abzuschneiden und das Veränderungsvorhaben weiter zu verfolgen. Eng damit zusammen hängt der Stolperstein, dass die Veränderungen nicht in der Unternehmenskultur verankert werden. Selbst wenn der digitale Wandel erfolgreich auf den Weg gebracht wurde, sich erste Erfolge zeigen, besteht die große Gefahr, Angst vor der eigenen Courage zu bekommen. Man bleibt auf halbem Wege stehen oder fällt sogar wieder in die alte Welt zurück.

Um erneut ein Beispiel aus der aktuell so unter Druck stehenden Handelsbranche zu bemühen: Karstadt Quelle hätte vielleicht Chancen gehabt, hier eine führende Rolle zu spielen. Wie die Zeitschrift „Computerwoche“ in einem Artikel aus dem Jahr 2001 berichtete, hatte der Konzern seinen E-Commerce-Umsatz im ersten Halbjahr um 125 Prozent auf 356 Millionen Euro steigern können. Als Ziel für das Gesamtjahr wurden mehr als 700 Millionen Euro avisiert. Wer glaubt, dass dies dazu geführt hat, den digitalen Hebel ganz auf Vollgas zu stellen und den stationären Handel systematisch zu reduzieren, irrt. Trotz dieser – selbst im heutigen Vergleich mit Zalando – attraktiven Umsatzgröße, kam das damalige Management zu folgendem Schluss: „Für das Warenhaus ist das Internet ein Marketing-Instrument und kein Umsatzbringer.“ Entsprechend wenig Hoffnung setzte es ins Web. Es gelang mithin nicht, den digitalen Handel tiefer in die Kultur und das Selbstverständnis des Unternehmens zu verankern.

Fazit

Jede Form von Veränderung, so auch der digitale Wandel, ist mit Unsicherheit behaftet. Man fragt sich, ob man solche Risiken überhaupt eingehen muss, schließlich könnte es ja auch anders kommen. Hier lässt sich erneut auf ein Zitat von Carl von Clausewitz verweisen: „Sooft Kühnheit auf die Zaghaftigkeit trifft, hat sie notwendig die Wahrscheinlichkeit des Erfolges für sich, weil Zaghaftigkeit schon ein verlorenes Gleichgewicht ist“.

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