Vertrieb und Key Account Management bei Pharma-Unternehmen verbessern
Ärzte werden in ihrer Rolle als „Verordner“ immer unbedeutender, denn wichtige Entscheidungen werden zunehmend von institutionalisierten Marktteilnehmern wie dem Gemeinsamen Bundesauschuss (G-Ba) als oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen, dem Spitzenverband Bund (SpiBu), dem neuen Dachverband der Krankenkassen, und dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) getroffen.
Der Flächenvertrieb von gestern und heute macht daher keinen Sinn mehr, denn das bisherige Key Account Management ist eher eine Preisverhandlungsabteilung als ein wirkliches Key Account Management. Das zeigt bereits die durchschnittliche Kundenzahl eines Key Accounters von 30 bis 40 im Vergleich zu einem bis fünf Kunden bei Schlüsselvertrieben in anderen Branchen. Um dauerhafte Vertriebserfolge zu erzielen, sollte der Fokus deshalb auf umsatzstarke Schwerpunktkunden gelegt werden. Im Folgenden werden zwei zukunftssichernde Maßnahmen dargestellt, die Pharmaunternehmen in dieser Situation ergreifen sollten.
Schritt 1: Reduzierung und Professionalisierung des Flächenaußendiensts
Werden die Renditechancen immer stärker eingeschränkt, wie es zur Zeit in der Pharmaindustrie der Fall ist, heißt es Kosten senken. Vor diesem Hintergrund kann kaum ein Pharma-Unternehmen die Frage nach der Größe seines Außendienstes auf Dauer ignorieren. Die Folge: Der Pharma-Vertrieb muss mit weniger Mitarbeitern auskommen, und diese müssen deutlich produktiver werden, um die gleichen Effekte zu erzielen. Wie kann es also gelingen, die richtigen Außendienstmitarbeiter auszuwählen?
Grundlegend dafür ist eine klare Beschreibung der künftigen Aufgaben und zu vergebenden Prozessverantwortlichkeiten. Das St. Galler Managementmodell beispielsweise bietet hierfür einen hilfreichen Gestaltungsrahmen. So lassen sich die typischen Fragen einer Matrixorganisation beantworten wie: Wer muss die Kundengewinnung, Kundenbindung und Kundenbewertung vornehmen beziehungsweise bei wem muss dieser Teilprozess angesiedelt sein? Aus diesen Informationen lassen sich dann die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen ableiten (AKV-Prinzip) und Job-Designs mit präzisen Anforderungsprofilen an die gewünschten Mitarbeiter formulieren.
Anhand der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen und Job-Designs folgt dann ein Screening der Außendienstmannschaft. Zwei Fragen geben Aufschluss über die Eignung der einzelnen Mitarbeiter:
- Wie veränderungsfähig und -willig ist der jeweilige Mitarbeiter in Bezug auf die neuen Aufgaben?
- Wie steht es um seine Einsatzfähigkeit hinsichtlich der neuen Aufgaben?
Nachdem so die künftigen Leistungsträger ermittelt wurden und die Rumpfmannschaft der Pharmaberater feststeht, sind zwei Dinge besonders wichtig:
- die Außendiensttätigkeit konsequent auf die umsatzstärksten Kunden und Produkte auszurichten und
- das Verkaufsgespräch mithilfe langfristig angelegter Schulungen deutlich zu professionalisieren.
Kunden nach dem Doppel-Pareto-Prinzip selektieren
Wenn der Pharmavertrieb mit weniger Mitarbeitern die gleichen Resultate erzielen soll, gewinnt Targeting für den Vertriebserfolg enorm an Bedeutung. Bisher werden Targeting-Daten zumeist von Datenlieferanten bezogen. Zentrale Abteilungen wie Sales Force Effectiveness (SFE) oder Business Intelligence (BI) kaufen Kontaktdaten und spielen sie in das CRM-System ein – und geben dem Pharmaberater damit vor, welche Kunden er ansprechen soll. Doch ist dies überhaupt noch der richtige Ansatz für eine emanzipierte Außendienstmannschaft oder sollte er nicht besser überdacht werden?
Die neue Rumpfmannschaft aus selbstständigen Gebietsmanagern denkt und handelt unternehmerisch. Entsprechend sollten Marktforschung und Targeting in ihrem eigenen Pflichtbereich liegen. Das fördert nicht nur die Selbstverantwortlichkeit der Mitarbeiter, sondern eröffnet auch Einsparpotenziale hinsichtlich der Datenlieferanten.
Im Targeting heißt die neue Leitmaxime, die zu besuchenden Ärzte entlang des Doppel-Pareto-Prinzips zu selektieren. Dahinter steht folgender Gedanke: Nach dem Pareto-Prinzip (20/80-Regel) erwirtschaftet ein Pharma-Unternehmen 80 Prozent seiner Umsätze mit nur 20 Prozent der Ärzte, die es betreut. Das Doppel-Pareto-Prinzip (10/50-Regel) besagt nun, dass zehn Prozent der betreuten Ärzte dem Unternehmen 50 Prozent seines Umsatzes erwirtschaften. Dies sind die neuen Fokuskunden des Außendienstes! Bleiben noch die zweiten zehn Prozent der betreuten Ärzte, die gemäß der Pareto-Regel 30 Prozent des Umsatzes liefern. Hier sollte geprüft werden, ob andere Vertriebskanäle wie Out- und Inbound-Service-Center oder Direktmarketing diese Kunden übernehmen können.
Nicht nur im Hinblick auf die Kunden ist ein neuer, engerer Fokus vonnöten, sondern auch hinsichtlich der Produkte. Denn der deutsche Gesetzgeber beschneidet die Renditemöglichkeiten der Pharma-Hersteller, indem er die Preise für Pharmazeutika ohne nachgewiesenen Zusatznutzen deckelt. Mit diesen Arzneimitteln lassen sich keine hohen Margen mehr erwirtschaften. Gleichzeitig ergeben sich aber auch neue Umsatzpotenziale im Verkaufsgespräch mit den Ärzten: die „Innovationen mit Zusatznutzen“, fachsprachlich Solitäre.
Allerdings werden Pharma-Hersteller auch in diesem Segment künftig mit Preisabschlägen rechnen müssen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie viele Solitäre ein Unternehmen überhaupt noch haben wird und wie viele Top-Verkäufer es benötigt, um diese gewinnbringend zu vermarkten. Entsprechend liegt das neue Augenmerk des Pharma-Vertriebs nicht mehr auf der gesamten Produktlinie des Unternehmens, sondern auf einigen wenigen Produkten, die noch hohe Margen versprechen.
Außendienstmannschaft als kompetenter Lösungsanbieter
Damit es gelingt, diese Produkte zu vermarkten, muss auch im Verkaufsgespräch selbst ein Umdenken stattfinden: Der bisherige Vertriebsansatz ist auf Ärzte abgestimmt, die Therapieentscheidungen treffen. Der Arzt wird in erster Linie als Konsument gesehen. Heute jedoch werden diese Entscheidungen vermehrt an anderer Stelle getroffen. Damit schlüpft der Arzt immer weiter aus der Rolle des Kunden in die des Business Partners – der eine andere Form der Ansprache erwartet, vor allem aber einen maßgeblichen Beitrag zu seiner eigenen Wertschöpfungskette.
Die Folge: Die neu aufgestellte Rumpfmannschaft muss entsprechend geschult werden – weg vom Produktverkäufer hin zum kompetenten Lösungsanbieter, insgesamt also eine Entwicklung in Richtung Key Accounting. Dabei sind vor allem die veränderten Anforderungen im Business Case des Arztes zu berücksichtigen: Die Balance zwischen Gesetzlicher (GKV) und Privater Krankenversicherung (PKV) wird deutlich zu Ungunsten der PKV verschoben; in der Folge wird das PKV-System auf Dauer nicht mehr tragbar sein. Gibt es dann zu wenige Privatpatienten, werden die privaten Krankenkassen nur noch eine Zusatz-, keine Grundversorgung mehr absichern. Damit fehlt den ärztlichen Praxen künftig Honorar, geraten Ärzte als Inhaber von Wirtschaftsbetrieben zunehmend unter finanziellen Druck.
An dieser Stelle ist der Pharma-Vertrieb als Kompetenzträger gefordert, der es schafft, Produkte in die Wertschöpfungskette des Arztes einzubauen, in Managed-Care-Systeme und den klinischen Behandlungspfaden (Clinical Pathway). Ein Beispiel dafür ist die Behandlung von Diabetes Mellitus Typ 2. Besonders geriatrische multimorbide Patienten fallen oft durch eine geringe Compliance auf. Das führt immer wieder zu Mehrfachbesuchen in der Arztpraxis. Psychosoziale Aspekte verstärken diesen Effekt noch: Der tägliche Gang zum Arzt ist dann manchmal der einzige Sozialkontakt am Tag. Diese Vielfachbesucher bringen jedoch den Fluss der Wertschöpfungsströme in der Praxis leicht ins Stocken und verhindern, dass der Arzt mehr Patienten betreuen kann.
Die Pharma-Hersteller könnten nun mit medizintechnischen Unternehmen kooperieren und für dieses Problem eine passende Lösung bereitstellen: ein ambulantes Monitoring der Patienten im häuslichen Umfeld und ein Call Center, das die Compliance fördert, indem es die Patienten führt. Das würde den Arzt deutlich entlasten, er könnte mehr Patienten behandeln, dadurch mehr Honorare erzielen und so den Verlust der PKV-Honorare kompensieren. Außerdem könnte die Pharma-Industrie ihren Leistungsbeitrag dokumentieren – eine höhere Compliance und dadurch weniger Rehospitalisierungen und Folgeerkrankungen. Im Mittelpunkt der Außendiensttätigkeit steht damit künftig die Frage nach dem Mehrwert für die Gesellschaft und für den Geschäftspartner Arzt: Welchen Nutzen bringt dem Patienten das Arzneimittel und welchen Nutzen bringt dem Arzt die Kooperation mit diesem Pharma-Unternehmen konkret?
Schritt 2: Entwicklung eines echten Key-Account-Managements
Nicht nur für die Außendienstmannschaft, auch für den produktiven Key Accounter führt der Weg zum Erfolg über diese zentrale Nutzenfrage und über den Wandel zum kompetenten Lösungsanbieter. Weil der Key Accounter seine kleinere Kundenzahl wesentlich intensiver betreut als der Außendienstler, muss auch seine Fähigkeit, in Geschäftsprozessen zu denken, noch stärker ausgeprägt sein. Dazu gehören analytisches Denken und die Fähigkeit zu abstrahieren ebenso wie fundierte Kenntnisse in Gesundheitspolitik, Betriebswirtschaft und Jura. Vor allem aber wird eine deutliche Professionalisierung des Verkaufsgesprächs durch einen strukturierten, prozessorientierten Verkauf erreicht werden können.
Erfolgsschlüssel prozessorienter Verkauf
Im prozessorientierten Verkauf kennt und nutzt der Key Accounter – neben seinem Bauchgefühl und seiner Intuition – auch Bausteine des Verkaufens als Prozess. Dazu gehören:
- Anwendung durchdachter Buying-Center-Modelle
- Nutzung des Verkaufstrichtermanagements
- Einsetzen von Balanced Scorecards bei der Deselektion unproduktiver Kunden im Verkaufstrichtermanagement
- Bestimmung der Metrik im rationalen Teil des Buying-Center-Modells
- Argumentieren entlang von Value-Based-Verkaufsansätzen
- Einüben von Commitment-Techniken
- Konkrete Beantwortung der Frage nach der (individuellen) Unique Selling Position (USP)
Die Logik dieser Verkaufsprozesse muss so beschaffen sein, dass sie dem Key Accounter Handlungsoptionen aufweist und ihm auf einen Blick zeigt, wo und wie er bei den produktiven Kunden investieren sollte. So entwickelt der Verkaufsprozess seinen spezifischen Nutzen als „Landkarte des Verkaufs“. Das schafft eine Orientierungshilfe für den Key Accounter und lenkt seinen Fokus in die gewünschte, erfolgversprechendste Richtung.
Doch ist es noch nicht allein damit getan, den Key Accountern einen Verkaufsleitfaden an die Hand zu geben. Das Erzielen von Umsatz stünde zu stark im Vordergrund, der Mitarbeiter verstünde sich mehr als Umsatzbringer denn als Beziehungsgestalter. Die Frage nach dem Sinn der Arbeit käme zu kurz – keine gute Voraussetzung für dauerhaften Erfolg. Diesen zusätzlichen Sinn zu schaffen, ist die Aufgabe der Führung. Sie muss nicht nur die Frage „Warum soll ich arbeiten?“ beantworten können, sondern auch eine Antwort auf die Frage „Warum soll ich gerade für dieses Unternehmen arbeiten?“ liefern.
Key Account Manager sind echte Manager!
Dabei ist nicht zu vergessen: Key Accounter sind echte Manager, die eine andere Führung verlangen. Eine Führung, die über die Sinnhaftigkeit der Arbeit hinaus Gestaltungsfreiräume bietet. Denn der Key Accounter als Mensch möchte mit mehr Umsatzverantwortung auch mehr Freiheit erfahren. Zugleich darf dies aber kein Freifahrtschein sein. Die Kunst der Führung von Key Accountern liegt also im Ausbalancieren dieses Spannungsfelds.
Die Schlüsselgröße „Attraktivität für den Mitarbeiter“ muss in Einklang stehen mit dem Stakeholder-Denken, also mit der Frage nach dem Leistungsbeitrag für die Außenwelt. Damit lässt sich die Frage „Wie führe ich einen Key Accounter?“ projizieren auf die erweiterte Frage:
„Welche Gestaltungsfreiräume sind sinnvoll, um attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen und gleichzeitig Mehrwerte für die Außenwelt zu erzeugen?“
Damit entsteht ein konvergenter Prozess, der die eigenen Herausforderungen und Restriktionen ebenso berücksichtigt wie die internen Herausforderungen und Restriktionen der Stakeholder. Auf diesem Weg kommt es mit der Emanzipation der Verkaufsorganisation dann auch zu einer Emanzipation der Kundenbeziehung. Insgesamt betrachtet rückt der eigene Leistungsbeitrag des pharmazeutischen Unternehmens vermehrt in den Vordergrund. Erst mit der konkreten Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Pharma-Unternehmens für die Gesellschaft kann ein hochproduktiver Pharma-Vertrieb in der Zukunft dauerhaft bestehen. Dazu gehören hauptsächlich folgende Entwicklungspfade:
- Erfolgreiches Targeting und konsequenter Fokus auf wirklich gewinnbringende Produkte
- Ausrichtung der auf die Leistungsträger reduzierten Rumpfmannschaft des Flächenaußendienstes als Key Accounter
- Professionalisierung des prozessorientierten Verkaufens durch das Key Account Management
- Konzentration auf stark gestraffte Produktportfolios und wenige Schlüsselkunden