VertriebWerttreiber in komplexeren Märkten

Der klassische Verkäufer, der nur an seine Umsatzzahlen oder Abschlüsse denkt, reicht für eine erfolgreiche Vertriebsorganisation nicht mehr aus. Globaler Wettbewerb und eine zunehmende Komplexität von Produkten verlangen andere Qualitäten. Konzeptionelle Fähigkeiten, wie Vertriebs-Experte Peter Winkelmann meint. Der Vertrieb verändert sich – und mit ihm verändern sich Rollen und Prozesse in Unternehmen.

„Unsichere konjunkturelle Rahmenbedingungen, härterer Wettbewerb, eine zunehmend feinere Segmentierung der Kunden sowie eine größere Vielfalt der Leistungen und Märkte stellen den Vertrieb heute vor immer komplexere Herausforderungen. Dabei stehen längst nicht mehr nur der reine Verkauf, sondern auch Themen wie Cross-Selling und professionelles Kundenmanagement im Fokus. Der Vertrieb hat sich zu einem der wichtigsten Werttreiber in Unternehmen entwickelt.“

So steht es einleitend einer Studie vom Frühjahr 2008 des Beratungsunternehmens BBDO – und soweit die Theorie. Denn, so das zentrale Ergebnis der Studie, viele Unternehmen schöpfen trotz dieser Erkenntnisse ihr Vertriebspotenzial in der Praxis nicht aus. Konkret ging es in der Untersuchung um die Frage des Auslagerns von Vertriebstätigkeiten an externe Firmen und darum, wie zufrieden die befragten Unternehmen mit ihrem eigenen Vertrieb sind. Immerhin 60 Prozent zeigten sich „zufrieden“, 36 Prozent sogar „sehr zufrieden“. Die Frage nach den Schwierigkeiten im Vertrieb brachte jedoch am Ende einige „Ungereimtheiten“ ans Tageslicht. Als da wären:

  • 61 Prozent gaben zu, dass der eigene Vertrieb nicht alle Möglichkeiten kenne, die der Markt bietet.
  • 54 Prozent konstatierten, der Vertrieb verbringe zu wenig Zeit beim Kunden.
  • 51 Prozent gaben an, den Kommunikations- und Organisationsaufwand des eigenen Vertriebs für zu hoch zu halten.
  • Die Hälfte der Befragten glaubte, der Vertrieb nehme sich nicht ausreichend Zeit für die Akquisition.
  • 45 Prozent hielten ihren Vertrieb für zu wenig innovativ.
  • 39 Prozent bemängelten die lange Einarbeitungszeit ihrer Vertriebsmitarbeiter.
  • 35 Prozent hielten den eigenen Vertrieb sogar für zu teuer.

Nachholbedarf: Bei der Vertriebsmehrheit spielen Neukunden keine Rolle

Es scheint zu krachen im Vertriebsgebälk. Die Autoren der Studie fragen sich, ob hinter der vorgeschobenen allgemeinen Vertriebszufriedenheit vielleicht sogar so etwas wie Schutzbehauptungen der Personen stehen, die am Ende für diese eher doch ernüchternden Ergebnisse verantwortlich sind. Seit der Veröffentlichung dieser Analyse ist ein Jahr vergangen. Grund zu fragen, wie sich die Situation heute darstellt und ob die Unternehmen – auch und zumal angesichts der Wirtschaftskrise, in der die Umsätze in vielen Branchen drastisch zurückgehen – ihre Vertriebsdefizite abgelegt haben. Das Recherchieren bringt schnell Gewissheit: Eher nicht.

Da ist zum Beispiel die aktuelle Studie der auf Vertriebsrekrutierung spezialisierten Personalberatung Xenagos, die besagt, dass für über 80 Prozent der Vertriebsspezialisten die Gewinnung neuer Kunden nicht einmal ein Viertel ihrer Umsätze ausmacht. Jeder Dritte gibt an, dass sich dieser Anteil in 2009 sogar noch verringert hat. Xenagos-Geschäftsführer Christopher Funk kommentiert:  „Wir hören allenthalben von Kunden und Experten, dass der Fokus im Vertrieb viel stärker auf das Neugeschäft gelegt werden muss, denn nur so können Unternehmen nachhaltig Umsatzverluste ausgleichen und wachsen. Anscheinend haben die Unternehmen aber große Probleme, diese Ziele umzusetzen. Es ist auch schwer, einen auf Bestandskunden fokussierten Verkäufer zur Jagd auf neue Kunden zu bringen.“

Was bitteschön, mag sich jetzt der eine oder andere fragen, tut denn der deutsche Vertriebler überhaupt, wenn nicht auch und gerade in der aktuellen misslichen Wirtschaftslage neue Kunden zu gewinnen und zumindest einen Teil der erlittenen Umsatzeinbußen dadurch wieder wettzumachen? Peter Winkelmann, Professor für Marketing und Vertrieb mit Schwerpunkt Vertriebssteuerung an der FH Landshut, mag kann das Ergebnis dieser Studie jedenfalls nicht nachvollziehen. Im nachfolgenden Experten-Interview erklärt er, weshalb.

Interview

Modernes Vertriebsmanagement

Im Interview: Peter Winkelmann, Professor für Marketing und Vertrieb mit Schwerpunkt Vertriebssteuerung an der FH Landshut, Mitglied im CRM-Expertenrat und Fachbeirat zur CRM-expo

 

Herr Winkelmann, eine aktuelle Studie der auf Vertrieb spezialisierten Personalberatung Xenagos zeigt, dass für über 80 Prozent der Vertriebsspezialisten die Gewinnung neuer Kunden nicht einmal ein Viertel ihrer Umsätze ausmacht. Und das trotz Umsatzeinbußen aufgrund der Wirtschaftskrise. Was läuft da falsch?

Diese Einschätzung teile ich nicht. Im Gegenteil: Viele Firmen können sich geradezu glücklich schätzen, wenn sie 20 Prozent Umsatz mit Neukunden generieren. Ziel muss es sein, dass ein neuer Kunde zunächst einmal überhaupt ein Produkt oder eine Dienstleistung bestellt beziehungsweise nachfragt. Im Anschluss daran geht es darum, diesen neuen Kunden zu behalten und die Kundenbeziehung weiterzuentwickeln – und das kann oftmals länger dauern. Das Problem ist also nicht der Neukundenumsatz, sondern die Frage, wie das Umsatzpotenzial dieses Kunden weiterentwickelt werden kann. Gerade in Zeiten von Wirtschaftskrisen, wo die Umsätze stagnieren oder fallen, wird es immer schwerer, Neukunden zu gewinnen. Hier ist Kundenbindung angesagt.

Eine andere Studie des Beratungsunternehmens Mercer zeigt, dass Vertriebler heutzutage mehr und mehr soziale Fähigkeiten mitbringen müssen, um Erfolge zu erzielen. Ist das auch Ihre Meinung und können Sie Beispiele dafür nennen?

Auch hier bin ich nicht ganz einverstanden. Deutschland ist in den vergangenen Jahren nicht umsonst Exportweltmeister gewesen, das hat auch mit der Leistung der Verkäufer „an der Front“ beziehungsweise beim Kunden zu tun. Wenn namhafte Produkte deutscher Hersteller überall auf  der Welt ihre Käufer finden, müssen die Vertriebler einen nicht unwesentlichen Anteil daran haben. Dies führe ich eben gerade auf deren soziale Kompetenzen zurück.

In Zukunft wird es aber nicht mehr darum gehen, als Verkäufer nur lieb zu sein und zu lächeln, sondern konzeptionell zu denken und zu handeln. Der Vertriebler der Zukunft muss rechnen, Zahlenwerke verstehen und interpretieren und auch eine Balanced Scorecard lesen können. Diese Grundlagen lernt man zum Beispiel während eines Studiums. Eine Studie von Kienbaum etwa besagt, dass schon heute 60 Prozent der Vertriebsführungskräfte aus dem akademischen Bereich rekrutiert werden.

Daneben werden effektive Vertriebsprozesse immer wichtiger. Worauf sollte hierbei geachtet werden?

Für den Vertrieb von heute gibt es keine Abteilungs- oder Ressortgrenzen mehr. Kundenorientierte Vorgänge werden abteilungsübergreifend behandelt. Eine Kundenbeschwerde beispielsweise wird in ein CRM-System eingepflegt und ist hinterher für jeden sichtbar und abrufbar. Jeder kann und muss sich die Informationen beschaffen, die für ihn wichtig sind. Entscheidend sind dann die Workflows, sie bringen den Vertrieb auf Trab.

Aber das Ganze muss personalverträglich ablaufen, das heißt, den Verkäufern muss auch erklärt werden, warum jetzt plötzlich jeder Zugriff auf seine Kundendaten hat und wozu das gut ist. Leider sieht der Vertriebsalltag meist ganz anders aus, und Verkäufer lassen sich nur ungern in ihre Karten beziehungsweise Kundendaten schauen. Das liegt aber wiederum daran, dass ein Kundenmanagementsystem oftmals „von oben“ oktroyiert und der Sinn und Zweck nicht ausreichend erklärt wird.

Im Herbst beginnt ein neuer Lehrgang der Haufe Akademie zum Thema „Modernes Vertriebsmanagement“ mit Ihnen als Fachleiter. Können Sie bereits jetzt erläutern, was modernes Vertriebsmanagement ausmacht?

Die Zeiten des „doofen Vertrieblers“ sind vorbei. Es gilt nicht mehr die Formel: Solange die Umsätze stimmen, ist alles gut. Vertriebler sind heute keine Abverkäufer mehr, sondern Marktverkäufer. Sie müssen sich viel detailliertere Fragen stellen, Märkte und Wettbewerber im Blick haben, die Geschäftsentwicklung des Kunden kennen und – ganz wichtig – ihre Kunden in die Entwicklung neuer Produkte miteinbeziehen. Ohne den Kunden zu beteiligen, geht heute kaum noch etwas. Es kann also durchaus sein, dass der eine oder andere Teilnehmer während dieses Lehrgangs seine berufliche Situation komplett überdenken muss.

Haben deutsche Unternehmen also Nachholbedarf, was ein Vertriebsmanagement moderner Prägung anbelangt?

Absolut. Zwar ist im Bereich CRM etwa schon viel passiert, aber gerade im Mittelstand wird das Thema Vertrieb noch sehr stiefmütterlich behandelt. Hier bewegen wir uns im wahrsten Sinne des Wortes oft noch auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Ansichten wie „ein Vertriebler kümmert sich um den Verkauf, den Rest erledigt die Unternehmensführung“ zeigen das deutlich.

Besonders viel Nachholbedarf sehe ich im indirekten Vertrieb, wenn durch oder über Vertriebspartner verkauft wird. Handelsvertretungen sind nach Aussage der Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb (CDH) zu rund 30 Prozent in die deutschen Warenströme einbezogen. Das bedeutet: Die Verkaufsleistung wird indirekt von einem Vertriebspartner erbracht, nicht von den eigenen Leuten. Beim dem Punkt, wie man einen Partner dazu bringt, sich in die eigene Vertriebssteuerung einzubringen, liegen wir noch sehr weit zurück.

Was halten Sie von der Institution eines Kundenbeirats, wie ihn etwa die Deutsche Bahn oder die Commerzbank etabliert haben?

So etwas finde ich klasse. Es ist der beste Weg, aus Kunden Verbündete zu machen. Kunden werden durch aktive Mitarbeit gebunden, die Angst vor ihnen abgebaut. Es zeigt auch, dass es mit der klassischen Verkaufsformel „Attention-Interest-Desire-Action“ (AIDA) endgültig vorbei ist. Leider geistert dieses Modell immer noch durch viele Verkaufstrainings, obwohl es in vielen Märkten antiquiert ist.

Gerade in Branchen, in denen permanent neue Produkte entwickelt werden, sind die Wünsche der Kunden entscheidend, und die kann ich nur herausfinden, wenn ich zuhöre und weiß, was der Kunde überhaupt möchte. Apple hat es mit seinem „iphone“ vorgemacht, hat Scoutgroups losgeschickt, die die Bedürfnisse der Nutzer herausfinden sollten. Den Erfolg sieht man heute.

Auf Ihrer Webseite sprechen Sie vom Trend der Vertriebsoptimierung, mehr Kundenorientierung zu erreichen. Was meinen Sie konkret damit?

Eine moderne Vertriebssteuerung und CRM dürfen nicht zu einer Effizienzdruckmaschine werden. Es geht nicht nur um Effizienz. Vielmehr muss die Balance zwischen Kosten- und Kundenorientierung gehalten werden. Das bedeutet: Ich kann nur in die Kunden investieren, die sich auch rechnen. Ich muss also Kundenbedürfnisse und Kosten im Blick haben. Habe ich meine Top-Kunden identifiziert, muss ich versuchen, sie über ein permanentes Kümmern und über die Schaffung ständig neuer Mehrwerte zu binden. So machen wir heute aus Abverkäufern Marktmanager und entwickeln diese zu Wertemanagern weiter.

Das zeichnet leistungsstarke Vertriebsorganisationen aus

Auch nach Meinung von Mercer gewinnt das Thema „Effektivität im Vertrieb“ vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung des Wettbewerbs für Unternehmen immer stärker an Bedeutung. Im Rahmen einer Vergleichsstudie hatte das Unternehmen Vertriebspraktiken von Firmen analysiert, die über mehrere Jahrzehnte hinweg hohe Renditen erwirtschaftet hatten. Das Ergebnis: Vertriebsorganisationen können in beträchtlichem Umfang von einer Umgestaltung der Rollen, Profile und Fähigkeiten wie auch von der Anpassung der Vergütungsinstrumente profitieren. Unterstützend tätig werden könne hierbei auch der HR-Bereich mit einem entscheidenden Wertbeitrag zur Umgestaltung. Nach Angabe der Mercer-Experten zeichnen sich leistungsstarke Vertriebsorganisationen durch folgende Merkmale aus:

  • eine Unternehmensstrategie und Vertriebskultur, die alle Mitarbeiter dabei unterstützt, die Interaktion mit den Kunden als oberste Priorität anzuerkennen;
  • die Erkenntnis, dass es primär die Vertriebs- und Account-Management-Prozesse, nicht die Vergütungsstruktur sind, die Vertriebsergebnisse nachhaltig nach vorne bringen;
  • das konsistente Vorleben und Umsetzen der Vertriebs- und Account-Management-Prozesse;
  • eine Bereitschaft zur Anpassung erfolgskritischer Vertriebsrollen und Vertriebsprozesse, Vergütungskomponenten und Organisationsstrukturen, wann immer erforderlich;
  • effektive Führungsprozesse an der Vertriebsbasis.

Eine besondere Bedeutung komme dabei der Rolle und Prozesse des Vertriebsleiters sowie der operativen Mitarbeiter im Vertrieb zu. Unternehmen, die ernsthaft an Umsatzwachstum interessiert sind, konzentrierten sich auf folgende Aspekte:

  • Beziehungen mit Kunden
  • Verringerung der Zeit, die Vertriebsmanager mit Nicht-Vertriebsaktivitäten verbringen
  • Entwicklung der Fähigkeiten und Kenntnisse der Vertriebsmitarbeiter, die der Vertriebsleiter unter anderem durch gezieltes Coaching und Entwicklungsmaßnahmen unterstützen muss
  • Förderung des Engagements und der Motivation der Vertriebsmitarbeiter
  • konsequenter Einsatz von Vertriebs- und Account Management-Prozessen
  • Personalbemessung und Fluktuationsmanagement
  • fokussierte Personalauswahl bei der Besetzung von Vertriebsleiter-Rollen
  • Ausrichtung der Vergütungsstruktur auf die spezifischen Bedürfnisse und „Verhaltenstreiber“ – bei Vertriebsführungskräften und Vertriebsmitarbeitern

Es sind also weniger und nicht alleine die Verkaufstechniken, sondern eher klare Prozesse und soziale Fähigkeiten, die für den Vertriebserfolg entscheidend sind. Ein wesentlicher Schlüssel liegt in den Kompetenzen der Mitarbeiter. Die nachfolgende Grafik verdeutlicht, in welchen Bereichen des Kundenmanagements sich Unternehmen Vorteile von einer sogenannten „Industrialisierung“ der Vertriebsprozesse im Backoffice versprechen.

Dazu Elmar Stenzel, CRM-Experte von Steria Mummert Consulting: „Um verstärkt maßgeschneiderte Produkte anbieten zu können, fehlt häufig die komplette Sicht auf die Kunden. Das Kundendatenmanagement gehört zu den Dauerbaustellen im Vertrieb. Bis zu 20 unterschiedliche Speicherorte für Kundeninformationen sind in vielen Unternehmen keine Seltenheit.“

Fazit: Auf den deutschen Vertrieb wartet noch eine Menge Nacharbeit. Hier und da müssen erst notwendige Hausaufgaben erledigt, ja das klassische Berufsbild des Vertrieblers hinterfragt und neu formuliert werden, um am Ende sicher zu wissen, was der Kunde wirklich möchte.

Dazu im Management-Handbuch

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