War for TalentsEin kooperatives Wettbewerbsszenario
Fachartikel oder Pressemitteilungen im Kontext des Personalmanagements verwenden ihn. Einen Terminus, dessen Ursprung nicht mehr als zwanzig Jahre zurückliegt. Dennoch ist er der Mehrheit der Personaler und Berater bereits in Fleisch und Blut übergegangen. Sie wissen nicht, von welchem Begriff die Rede ist?
Der „War for Talents“
Sie verstehen nur Krieg? Dann gehören Sie zu jener verschwindend geringen Gruppe, die bei dem Begriff „War for Talents“ genauer hinhört. Während Wertewandel, Ethik und Moral im Hinblick auf eine sich verändernde Arbeitslandschaft mit Vorliebe diskutiert und betont werden, wird bei der Sprache gerne ein Auge zugedrückt. Wie sonst ist zu erklären, dass eine Bezeichnung, die weit an dem bezeichneten Sachverhalt vorbeizielt, erfolgreich Einzug in den gebräuchlichen Wortschatz von Unternehmenspolitik und Personalmanagement hielt?
Doch zurück zum Anfang: 1997 wurde der Begriff „War for Talents“ in einer Studie von McKinsey erstmals verwendet. Die Begriffswahl war dabei keinesfalls zufällig, sondern sollte die angespannte Situation der Unternehmen im Hinblick auf die zunehmende Verknappung der „Ressource“ sogenannter High Potentials zum Ausdruck bringen. Eigentlich. Denn die Bezeichnung „War for Talents“ zeichnet, wenn man ihre semantische Bedeutung betrachtet, ein deutlich drastischeres Szenario von Deutschlands Wirtschaftsschauplätzen. „War“ bedeutet ins Deutsche übersetzt „Krieg“. Und als solcher findet er zum Beispiel in Titeln wie "Talente-Krieg" der Autoren von der Oelsnitz, Stein und Hahmann auch unmissverständlich Verwendung im deutschen Sprachgebrauch. Dabei drängt sich die Frage auf: Befinden sich unsere Wirtschaftsunternehmen tatsächlich im "Krieg"?
Die Wirtschaft als Kriegsschauplatz
Auch hier zurück zu den Ursprüngen – und zwar zur Definition des Begriffes Krieg. Dieser ist laut Duden ein „mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt zwischen Staaten, Völkern; größere militärische Auseinandersetzung, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt“. Die hiermit korrespondierenden Bilder verwundeter Zivilisten, getöteter Soldaten und zerstörter Häuser gehen regelmäßig durch die Medien. Wie kann es sein, dass ein Begriff, der untrennbar mit Leid und Zerstörung verbunden ist, für die Metaphorisierung der aktuellen Arbeitsmarktsituation missbraucht wird? Ohne Widerspruch? Ohne kritische Reflektion!
Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich nicht im Krieg. Weder bekämpfen sich Unternehmen auf der Suche nach geeigneten Kandidaten gewaltsam, noch verwandeln sie die deutsche Wirtschaft in einen grausamen Kriegsschauplatz. Was hingegen nicht zu leugnen ist, ist die Tatsache dass sich Unternehmen aufgrund demographischer Entwicklungen und steigender Qualitätsanforderungen zunehmend um die Gunst von Talenten und Leistungsträgern bemühen müssen. In Konsequenz wird bei vielen Unternehmen mit Blick auf die Wettbewerber auch ein gewisses Konkurrenzempfinden spürbar. Es geht dabei, um es ganz deutlich zu sagen, um einen gesunden und fairen Wettbewerb und nicht um Krieg. Dessen Fundament besteht nicht aus Kampf und Zerstörung – ganz im Gegenteil: Unternehmen besinnen sich heute mehr denn je auf ihre inneren Werte, auf das, was sie ihren Mitarbeitern bieten können, womit sie positiv aus der Masse hervorstechen können.
Kooperativer Wettbewerb als Gegenentwurf
Wenn die Bezeichnung „War for Talents“ aufgrund ethischer und moralischer Prinzipien als problematisch einzustufen ist, stellt sich die Frage, bei welchem Namen das Kind nun genannt werden soll. Laut einschlägiger Studien berichten Organisationen von zunehmenden Schwierigkeiten bei der Besetzung vakanter Stellen. Besonders schwierig gestaltet sich die Personalsuche gemäß der aktuellen ManPowerGroup-Studie „Fachkräftemangel“ bei Facharbeitern aus handwerklichen Bereichen sowie im Ingenieurs-Bereich. Als Gründe für diese Entwicklung führen Experten sowohl globale demographische, als auch wirtschaftliche Veränderungen an. Sie berichten auch von einer wachsenden Anspruchshaltung und einem zunehmenden Selbstbewusstsein der händeringend gesuchten Talente. Im Zuge dieser Entwicklungen müssen sich Unternehmen mehr denn je um die „Stars“ von morgen bemühen. Doch wie kann – wie sollten diese Bemühungen konkret aussehen?
Der von McKinsey im Jahre 1998 veröffentlichte Artikel „War for Talents“ beginnt mit den Worten: „Better talent is worth fighting for.“ – Talente sind es Wert, um sie zu kämpfen. Wer das Miteinander der Unternehmen angesichts der aktuellen Bewerbersituation noch immer primär als „Krieg“ versteht, versperrt sich jedoch die Sicht auf neue, kreative Antworten und Lösungswege. Solche Antworten konnten in einzelnen Unternehmen bereits entwickelt und erfolgreich umgesetzt werden. Der Fokus liegt dabei auf Kooperation statt auf Konflikt, sowie auf Personalmanagement-Strategien, die den Talent-Begriff erweitern und ihre Maßnahmen auf individuelle Lebensphasen abstimmen. Um das Kind also beim Namen zu nennen: auf kooperativem Wettbewerbsverhalten.
Neu-Definition von „Talent-Management“
Die bereits angesprochen kreativen und kooperativen Lösungsentwürfe bedienen sich zumeist implizit oder explizit einer Neu-Definition des Begriffes „Talent-Management“. So dehnt etwa das Unternehmen DIEHL Controls den Talent-Begriff gezielt auf Ältere, Jüngere, Frauen und Migranten aus, indem es sein besonderes Augenmerk auf diese Personengruppen richtet. DIEHL geht somit einen entscheidenden Schritt im Hinblick auf demographische Herausforderungen wie Geburtenrückgang und alternde Belegschaften.
Mit der Erweiterung des Talentbegriffs gehen natürlich auch neue Anforderungen an das Personal-Management einher. Das Konzept des lebensphasenorientierten Personalmanagements, wie es auch das Unternehmen DIEHL Controls erfolgreich praktiziert, greift diese Anforderungen auf, indem es den unterschiedlichen Bedürfnissen der Mitarbeiter in verschiedenen Lebensphasen Rechnung trägt. Dabei bedient man sich neben Instrumenten des betrieblichen Gesundheitsmanagements auch kreativer Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der Förderung von Frauen in Führungspositionen. Ein rundes Konzept also, das das Unternehmen nicht nur für die bis dato kaum beachteten „Hidden Talents“ wie Frauen und ältere Mitarbeiter attraktiv macht, sondern auch für jüngere Generationen von High Performern. Diese legen laut der Studie „Trendence Graduate Barometer“ mehr Wert auf Work-Life-Balance als jemals zuvor.
Bei der Konzeption und Umsetzung solch anspruchsvoller Personalmanagement-Strategien muss einmal mehr auf die besondere Bedeutung eines kooperativen Wettbewerbes verwiesen werden. So ermöglichen beispielsweise Zusammenschlüsse mit anderen Unternehmen im Hinblick auf Angebote zur Kinderbetreuung oder Sozialberatungseinrichtungen die Realisierung solch attraktiver Personalmanagement-Maßnahmen. Mit gutem Beispiel voran gingen in Hamburg unter anderem Tchibo, Edeka, die Hamburg Mannheimer, die Aspecta Lebensversicherung und RWE Dea, die gemeinsam den Bau einer Kindertagesstätte finanzierten – mit dem Ziel, die Familienfreundlichkeit ihrer Unternehmen zu fördern.
Personalaustauschmodelle als neuer Ansatz
Kooperationen sind überdies nicht nur im Bereich des Gesundheitsmanagements oder der Vereinbarkeit von Beruf und Familie denkbar, sondern sollten unter anderem im Kontext von „Personalaustauschmodellen“ überdacht werden. Derartige Modelle tragen Schwankungen des quantitativen Personalbedarfs Rechnung: Unternehmen, die gerade aufgrund eines Auftragseinbruches einen Personalüberschuss haben, „entleihen“ Fachkräfte an Unternehmen mit Personalbedarf. Mit gutem Beispiel voran geht hier unter anderem der Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. Gemeinsam mit der IG Metall schloss der Verband einen Tarifvertrag zum Austausch von Beschäftigten. Dieser gilt für mehr als 9.000 Beschäftigte in neun Unternehmen der Region. Kommt es bei einem der Vertragspartner beispielsweise zu einem Auftragseinbruch, können Beschäftigte vorübergehend zu einem anderen Betrieb wechseln. Hierdurch kann auf Kurzarbeit oder gar betriebsbedingte Kündigungen in Krisenzeiten verzichtet werden. Gleichermaßen sind die tarifgebundenen Betriebe durch dieses Konzept fähig, gut ausgebildete Fachkräfte zu halten. Es handelt sich also um eine Win-Win-Situation: Jobsicherheit für die Beschäftigten und höhere Flexibilität für die Unternehmen.
Fazit
Was ist nun das Ergebnis aus dem Gewirr von Wortbedeutungen, Wettbewerbs-Szenarien und Modellbeispielen? Viele unterschätzen, dass die Sprache eines der mächtigsten Instrumente des Menschen ist. Einmal in einem falschen Kontext verwendet – und vielfach kritiklos weitergetragen, verwandelt sie Volkswirtschaften in Kriegsschauplätze, Organisationen in feindselige Lager. Sie gibt den Rahmen vor, in welchem sich inhaltliche Interpretationen, Assoziationen und Lösungsansätze zu einer Thematik bewegen. Wer also von Krieg spricht, wird zumeist auch Angriff als adäquaten Lösungsweg empfinden. Wer diese Worthülse verlässt, erweitert damit auch den eigenen Spielraum, neue innovative Lösungen zu kreieren. Und genau diese Lösungen sind es, nach denen Unternehmen in Anbetracht tausender vakanter Ingenieurs- und Facharbeiterstellen suchen. Das Szenario sollte sein: Kommunizieren statt kämpfen. Kooperation statt Krieg.