WissensmanagementsystemChancen und Nebenwirkungen eines Wikis

"Wiki" bedeutet auf Hawaii "schnell" und steht heute für Hyperlink-vernetzte und kollaborative Wissensmanagementsysteme. Wikis haben gegenüber herkömmlichen Wissenssystemen wie Intranet oder Dokumentensoftware vielfältige Vorteile. Der Dienstleister TQU hat ein solches Wiki-Netz als QM-System eingeführt, nach ISO 9001 zertifizieren lassen und profitiert von beschleunigten Geschäftsprozessen.

Woran Konstrukteure aufwendiger Wissensmanagementsysteme lange getüftelt haben, scheint in greifbarere Nähe: ein lebendiges Austauschforum, das über die reine Wissensverwaltung weit hinausgeht. Der Traum vom Aufbau kollektiven und kollaborativen Wissens könnte mit der Wiki-Technologie Realität werden.

Bekannt wurde das Wiki-System über die enzyklopädische Wissenssammlung Wikipedia, die im Internet nicht nur gelesen, sondern von jedem Interessierten online geändert oder ergänzt werden kann. Dahinter steht eine Anwendung, die als Social Software bezeichnet wird [1]. Konzeptioniert als Wissensmanagement-Tool, bietet ein Wiki umfassende Möglichkeiten der Speicherung von Wissen und Daten jeglicher Art, zumeist als Text und Bilder. In der Vergangenheit sind Wissensmanagement-Ansätze oft daran gescheitert, dass es nicht gelang, das Know-how der Angehörigen einer Organisation transparent und für alle gleichzeitig zugänglich zu machen. Auch konnte man Informationen nicht direkt an Prozesse anhängen und somit kollektives Wissen und Handeln nicht fördern.

Die lernende Organisation wird Wirklichkeit

Derweil schlummert in vielen Unternehmen ein ungeahntes Potenzial an Wissen, das aus Mangel an Transparenz und Vernetzung ungenutzt bleibt. Interaktive Web-Technologie à la Wiki stellt nun in Aussicht, das Wissen der Mitarbeiter abzubilden, zu vernetzen und mittels Synergieeffekten einen Wissensschatz im Unternehmen aufzubauen. Dabei ist das Ergebnis nicht nur die Summe aus Wissen und Know-how, sondern möglicherweise die viel zitierte lernende Organisation. Umfragen zeigen, dass etliche Unternehmen bereits die Vorzüge eines Wikis nutzen oder einen Einsatz in Erwägung ziehen. Wikis kommen dabei in den unterschiedlichsten Bereichen zur Anwendung:

  • in der Dokumentation von Produktentwicklungen, Projektverläufen, Ergebnissen und Lessons Learned,
  • bei Hotlines für den schnellen Zugriff auf kundenrelevante Themen oder
  • als Austauschplattform etwa zur Ideenentwicklung.

Auch für das Qualitätsmanagement bieten sich die genannten Einsatzmöglichkeiten an, zugeschnitten etwa auf

  • die Beschreibung von Prozessen,
  • die Bearbeitung von Reklamationen oder
  • das Vorschlagswesen.

Wie ein Unternehmen sein bestehendes Managementsystem auf ein Wiki überträgt und nutzt, zeigt das TQU ifqm, Neu-Ulm, ein Dienstleistungsunternehmen mit rund vierzig Mitarbeitern. Die Leistungen reichen von der Beratung über Qualifizierung und Trainings bis zur Projektarbeit beim Kunden.

Ausgangspunkt für die Umgestaltung des bestehenden QM-Systems gemäß ISO 9001 war die Suche nach einer dynamischen Lösung. Die Inhalte und Prozessabläufe waren bekannt, wurden gelebt, und das QM-Handbuch wurde nur noch selten herangezogen. Wichtiger aber war das Expertenwissen der Mitarbeiter, das im Beratungs- und Trainingsgeschäft die wichtigste Ressource ist. Jedem Mitarbeiter sein benötigtes Wissen jederzeit, aktuell und umfassend zur Verfügung zu stellen, war und ist für das Management eine große Herausforderung. So setzte man sich die lernende Organisation zum Ziel. Projekterfahrungen und Expertenwissen sollten künftig allen Beratern und Trainern möglichst unmittelbar und zentral zur Verfügung stehen.

Hierarchien werden durch geteiltes Wissen flacher

Auf Basis dieser Vorüberlegungen und mit der Forderung, ein dynamisches und leicht aktualisierbares Wissenssystem zu schaffen, war nun eine passende IT-Technik zu finden. Zunächst bot sich das kostenfreie Media-Wiki an, das die erarbeiteten Ansprüche hinsichtlich Transparenz und Sicherheit erfüllt. Dieses entspricht in Aufbau und Handling dem bekannten Wikipedia und ist als Open-Source-Software kostengünstig zu unterhalten. Eine Übersicht und einen Vergleich aller Wikis findet man im Internet. So wurde im Rahmen eines internen Projekts ein Wiki aufgebaut.

Die Software wurde aus Gründen der Datensicherung und für einen leichten externen Zugriff auf einem externen Server installiert, Benutzerkonten mit Passwortsicherung wurden angelegt. Die Elemente des bisherigen QM-Handbuchs wurden auf Gültigkeit überprüft, dann wurden Verantwortliche für Themenbereiche und deren Überarbeitung festgelegt. Die Grundstruktur des bekannten QM-Systems wurde in leicht abgeänderter Form übernommen und als Hauptansicht in das Wiki übertragen

Nach Einarbeitung aller Mitarbeiter in die Funktionen und Syntax des Wikis füllte sich das Wissensnetz kontinuierlich und für alle sichtbar. Dennoch stellten sich nicht sofort die erhofften Erfolge ein. Das Füllen des Wikis war mit Mehrarbeit neben dem Tagesgeschäft verbunden. Anstatt im Wiki nach Wissen und Daten zu suchen, war es immer noch Usus, die Kollegen per E-Mail um Unterlagen oder eine Auskunft zu bitten.

Es musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, die entsprechenden Dokumente und Inhalte einzupflegen und zu aktualisieren. Der zweite Schub, der Dynamik in das Wiki brachte, war ein Umbau zur Rezertifizierung des QM-Systems Anfang 2007. Ein internes Team überarbeitete intensiv Inhalt und Struktur des Wikis, und während dieser Phase zeigte sich immer deutlicher, dass nicht das explizite Wissen, wie es bis dato im Wiki abgebildet war, einen Mehrwert für die Mitarbeiter darstellte, sondern das implizite Wissen in Form von Storymanagement:

  • Erfahrungsberichte von Projekten,
  • komplette Kundenhistorien über die Jahre der Projektarbeit des TQU,
  • aktuelle Entwicklungen zu Fachthemen und Praxistipps für die Arbeit beim Kunden.

Die Verbindung dieser Texte und Prozesse mit wichtigen Links und Dokumenten war der Schlüssel zum gut genutzten Wiki. Der Clou daran war, das vorhandene Wissen an Prozesse anzuhängen. Alle Mitarbeiter beteiligten sich jetzt aktiv am weiteren Ausbau. Alle suchten nach bereits verschwunden geglaubten Unterlagen und Texten, die das Bild und die Kultur des TQU, wie es über die Jahre mit seinen Menschen und seinem Wissen gewachsen ist, darstellen. Der einfache Grund für das Engagement: Ein jeder profitiert von den allgemein zugänglichen und nützlichen Informationen.

Das Ergebnis ist ein über die Jahre gewachsener und nun transparenter Wissens-Pool, der als zertifiziertes QM-System auch die Qualität der TQU-Dienstleistungen ständig verbessert. Bereits kurz nach Start des zertifizierten Wikis nahm die Anzahl der E-Mails und Telefonate der Mitarbeiter untereinander deutlich ab, Ressourcen wurden für den Kunden frei.

Da die relevanten Dokumente und das Expertenwissen zentral abgelegt und ständig aktualisiert werden, informieren sich die Mitarbeiter, die viel Zeit beim Kunden verbringen, zunächst über das Wiki. Auch im Kundenkontakt ist der schnelle Zugriff auf das Wiki via Internet von Vorteil. Die Qualität der Arbeit beim Kunden konnte durch Storymanagement, das Lernen aus Erfahrungen von anderen, das Bereitstellen der aktuellsten Dokumente und die Abbildung umfassenden Wissens auf dem Wiki spürbar verbessert werden.

Der nächste Schritt in der Weiterentwicklung des Wikis ist der Umstieg von Media-Wiki auf ein Enterprise-Wiki. TQU hat sich für Confluence, die Software des Anbieters Atlassian entschieden. Das Wiki für Unternehmen ist kostenpflichtig, bietet dafür aber Vorteile wie den Aufbau mehrerer Spaces innerhalb eines Wiki Ein Space ist der Raum innerhalb eines Wikis, in den ein eigenes Wiki integriert werden kann.

Wer über den Einsatz eines Wikis im eigenen Unternehmen nachdenkt, sollte bedenken, dass es sich nicht nur um eine neue Web-Technologie handelt. Wichtiger ist die damit angestoßene Kulturveränderung: Wissen wird transparent und gewinnt gegenüber hierarchisch begründeter Macht an Bedeutung.

Auf Führungsebene führt die Sorge vor Machtverlust durch Preisgabe von Wissen manchmal zu einer Blockadehaltung. Dieser kann jedoch durch eine frühzeitige Einbindung der Führung entgegengewirkt werden. Insbesondere durch die Zuordnung von Verantwortung für bestimmte Wissensbereiche und durch regelmäßige Termine zur Abstimmung während der Konzeptionierung und des Aufbaus des Wikis [2].

Eine weitere Herausforderung, die es auf dem Weg zur transparenten Wiki-Kultur zu bewältigen gilt, ist die Motivation der Mitarbeiter zur aktiven Pflege des Wikis. Über die Bereitstellung der notwendigen zeitlichen Ressourcen, Zielvereinbarungen oder auch Anreizsysteme kann die Motivation der Mitarbeiter gefördert werden. Motivation wird zum einen über den erkannten Eigennutzen für die Mitarbeiter geschaffen, zum anderen über das Einbinden in Prozesse: Bei TQU ist ein Projekt erst nach Eintragung ins Wiki beendet.

Fehlende Strukturierung führt auch im Wiki zu Unübersichtlichkeit. Je nach Anzahl der Mitarbeiter des Unternehmens sollte durch eine Regelung der Nutzerrechte oder die Benennung eines Struktur-Verantwortlichen dem Wildwuchs vorgebeugt werden.

In die Auseinandersetzung mit dem Thema Wiki und Managementsysteme wurden auch Kunden einbezogen. Befragt zu den Einsatzmöglichkeiten in deren Unternehmen und QM-Systemen wurden Chancen, aber auch Grenzen von Wikis deutlich.

Die eigene Erfahrung und die Einschätzung der Befragten zeigen, dass der Nutzen von Wikis für das Qualitätsmanagement überwiegt. Wikis erhöhen die Dynamik der Geschäftsprozesse, unterstützen eine Kulturveränderung, fördern die Interaktivität der Menschen und das Managementsystem erhält eine völlig neue Art der Transparenz. Dennoch wird jedes Unternehmen selbst entscheiden müssen, inwiefern die beschriebenen Veränderungen durch ein Wiki erwünscht sind.

Literatur

1 Alby, T.: Web 2.0 – Konzepte, Anwendungen, Technologien. Carl Hanser Verlag, München 2007

2 Algesheimer, M.; Leitl, M.: Unternehmen 2.0. Harvard Business Manager (06/2007), S. 88–98

[Quelle: Erschienen auf QM-Infocenter.de, Beitrag aus der Zeitschrift QZ Qualität und Zuverlässigkeit 09/2007; Bild: Fotolia.com]

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