Zeitmanagement für Top-Manager

Viel Einfluss, aber keine Zeit. Top-Manager befinden sich in einem Zeit-Dilemma. Heraus führt nur die bedingungslose Konzentration auf Wesentliches.

Herr Schweifer, was ist bei Top-Managern widersprüchlich im Umgang mit Zeit?
Meine Zeitforschungsarbeit auf Top-Managementebene, bei der mehrere signifikante Widerspruchsfelder empirisch untersucht wurden, zeigt: Top-Manager befinden sich in einer höchst widersprüchlichen Zeitspirale, die in letzter Konsequenz ihre eigenen Spielräume zunehmend relativiert und durchlöchert. Sie sind Gestalter beziehungsweise Erhalter und zugleich Gestaltete einer Zeit-Dynamik von Beschleunigung und Verdichtung. Gewissermaßen zugleich Promotoren und Inhalatoren, Antreiber und Getriebene, Akteure und Reakteure. Als Manager an zentralen Schalthebeln der Macht dirigieren und inszenieren sie ganz spezifische Zeitregime.

Gleichzeitig werden sie aber angesichts eines zunehmend unbeherrschbaren, eigendynamischen Zeitdrucks selbst zu Dirigierten und Fremdgesteuerten, ja Abhängigen. So als hätte sich Zeit quasi verselbständigt. Das tradierte, ja idealisierte Bild vom zeitmächtigen Macher muss jedenfalls relativiert, wenn nicht sogar revidiert werden. Denn objektiv betrachtet gibt es auf Top-Management-Ebene durchweg chronische Zeitnot. Der Soziologe Hartmut Rosa nennt das Temporal-Insolvenz. Zumindest scheint eine hohe berufliche Verantwortung mit chronischer Zeit-Knappheit und enger Taktung untrennbar verknüpft. Ein zentraler Widerspruch lautet also: Je reicher an Einfluss, desto ärmer an Zeit.

Was verstehen Sie unter den von Ihnen geprägten Begriffen „Zeitmacht“ beziehungsweise „Zeitohnmacht“ und worin äußern sich diese in der Management-Praxis?
Genau betrachtet ist es eigentlich Nonsens, überhaupt von Zeitmacht zu sprechen. Denn Zeit als solche entzieht sich in letzter Konsequenz menschlichen Zugriffen völlig. Sie entsteht und vergeht ohne unser Zutun, ist also ganz und gar nicht zu managen. Doch wie wir Zeit gestalten und womit wir sie ausfüllen, steht sehr wohl graduell in unserem Einfluss. Unter Zeitmacht verstehe ich deshalb ein bestimmtes Maß an autonomer Steuerungsmöglichkeit beziehungsweise individuellem Gestaltungsspielraum in Bezug auf die jeweils zur Verfügung stehende Zeit. Dieses Maß ist aber subjektiv höchst unterschiedlich. Es hat mit dem Gefühl von „Handhaben-Können“, von etwas „in der Hand haben“ zu tun.

Zeit-Ohnmacht drückt das Gegenteil aus, nämlich ein subjektives Gefühl von Unsteuerbarkeit. Hierbei laufen die persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten aus dem Ruder. In der Management-Praxis zeigt sich, dass Top-Manager zwischen gradueller Zeitmacht und Zeitohnmacht pendeln. Zeitohnmacht zeigt sich zum Beispiel in übergeordneten, durch äußeren Druck geprägten Zeithierarchien wie etwa die Erstellung eines Quartalsberichts oder in einer engen Arbeitstaktung. Zeitohnmacht zeigt sich aber auch in lebens- und karrieregeschichtlichen Brüchen wie etwa Burnout, abrupte Karrieresprünge, Krankheit, Verlust oder Tod. Zugleich durchlöchert selbstgemachter Druck wie zum Beispiel ein unbedingter Erfolgswille oder die Erfüllung hoher eigener Erwartungen die Zeitmacht.

Welche Folgen hat dies für die tägliche Führungspraxis?
Hier geht es nicht nur um Führungs-, sondern auch um Lebenspraxis. Grundsätzlich gilt, dass Top-Manager zumindest potenziell höhere Wahlchancen in punkto Zeit- und Lebensgestaltung haben als etwa weniger privilegierte Mitarbeiter. De facto können oder wollen sie dieses Mehr an Handlungsalternativen in der Praxis aber nur bedingt wahrnehmen. Es ist einfach nicht attraktiv oder opportun, sprich karriereschädigend oder mit sozialer Exklusion und Imageverlust verbunden. Das virulente Zeit-Dilemma lässt sich, wenn überhaupt, nur lösen durch bedingungslose Konzentration auf Wesentliches – durch „selektive Ignoranz“. Das heißt durch ein radikal selektives Auswählen von Handlungsoptionen, verbunden mit einer Wertekorrektur auf individueller wie kollektiver Ebene. Nicht ein Zuwenig an Zeit ist das Problem, sondern ein Zuviel an Bedürfnissen.

Wie sollten Manager mit ihrer Zeit umgehen? Was sind die Erfolgsstrategien?
Der richtige Umgang mit Zeit hat individuell höchst unterschiedliche Gesichter, ist immer auch Ausdruck eines subjektiven und kollektiven Werteverständnisses. Dennoch lassen sich einige plausible Erfolgsstrategien im Umgang mit Zeit nennen: Zum einen Rituale. Die konsequente Pflege von Ritualen entlastet und gibt Struktur und Halt. Sie dient auch als Korrektiv zu einer Arbeitswelt, die völlig anders tickt. Rituale vermitteln das Gefühl von Fassbarkeit und Sicherheit, auch von Zeitlosigkeit. Und sie fungieren als Zeitinseln und Puffer zum harten Management-Alltag. Gleiches gilt für Disziplin. Ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Reflexion und Faszination ist eine unbedingte Voraussetzung für „Zeit-Erfolg“. Ohne Disziplin keine Karriere! Zuletzt schaffen auch eine gewisse Mehrdimensionalität und Werte Zeit. Ein Lebens- und Wertekonzept, das auf mehreren Pfeilern ruht, scheint eine äußerst solide Basis für souveräne Gestaltung. Zum Beispiel der Dreiklang von familialen Unternehmens-Prinzipien, sozialem Engagement und Kunstförderung. Oder privat die Verbindung von Ritualen zur Stärkung von Körper und Geist mit festen Zeiten für die Familie. Zeit-Souveränität hat auch mit Bewusstsein zu tun.

Sie sind der Ansicht, dass Berufsziele und Karriere heute Vorrang vor familiären und privaten Bedürfnissen haben. Aktuelle Studien gehen aber genau vom Gegenteil aus, wenn etwa gesagt wird, dass Privates gerade für die junge Generation wieder wichtiger wird. Warum soll also die viel gepriesene Work-Life-Balance obsolet sein?
Einerseits scheint bei der jüngeren Generation tatsächlich ein – jedenfalls partieller – Wertewandel im Gange zu sein. Anderseits melde ich selbst hier Skepsis an. Denn es gilt zu unterscheiden zwischen der vermehrten Sehnsucht nach Ausgleich und der nach wie vor existierenden hohen Arbeitssucht anderseits. Die Vorstellung von Balance bleibt häufig im eng getakteten Alltags-Kokon von Leistung, Arbeit und vielen Handlungsoptionen hängen. Auf Top-Management-Ebene kann diese Diagnose nur unterstrichen werden, denn beruflicher Erfolg, der Wille zum Erfolg und private Zeitopfer bedingen sich einander hochgradig. Zudem zieht eine hohe Verantwortung auch eine hohe Zeitauslastung und enge Getaktetheit nach sich.

Dementsprechend schlecht vertragen sich private Ansprüche und berufliche Top-Ziele. Seltene Ausnahmen mögen diese Regel bestätigen. Last but not least ist das Bedürfnis nach Ausgleich gar nicht relevant, weil Arbeit und Karriere hochgradig identitätsstiftend sind, oder weil das totale Verschwimmen von Beruf und Privatleben zur unhinterfragten Selbstverständlichkeit geworden ist. Top-Manager sind tendenziell wahre „Zeit-Maschinisten“ – immer auf Hochtouren. Denn Muße und Zeitgenuss vertragen sich im Business schlecht. Die gepriesene Work-Life-Balance entpuppt sich deshalb eher als nüchterne Work-Work-Balance – ein unentwegtes Austarieren multipler Handlungsoptionen und Verantwortungen, getragen von den zentralen Karrieretreibern Disziplin und Erfolgswille.

Herr Schweifer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Hinweis

Vom Autor ist auch folgendes Buch erschienen: Zeit-Macht & Zeit-Ohnmacht von Top-Managerinnen & Top-Managern

Dazu im Management-Handbuch

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