Zielgruppen und Markt fürs Angebot definieren
Wenn Top-Entscheider ihre Post betrachten oder ihre E-Mails checken, kommt meist der Gedanke auf: „Wenn ich das alles lesen würde, hätte ich für meine Arbeit keine Zeit.“ Entsprechend rigide verfahren sie mit den zugesandten Briefen, ob gedruckt oder elektronisch. Werbeschreiben landen meist ungeöffnet im Papierkorb oder werden im besten Fall nur kurz überflogen. Im nächsten Schritt wird dann wieder der Papierkorb bemüht, vor allem wenn die Entscheider den Eindruck haben, hier bietet ihnen ein Berater mal wieder seinen gesamten Bauchladen an.
Dieses Gefühl haben Top-Entscheider – unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um Geschäftsführer, Vorstände, Personal- oder Vertriebsleiter handelt – beim Sichten der ihnen von persönlichen Dienstleistern zugesandten Unterlagen oft. So müssen sie zum Beispiel feststellen, dass ein und derselbe Trainer neben Verkaufsseminaren auch Stress- und Projektmanagementtrainings in seinem Programm führt. Selbstverständlich dürfen auch die allseits beliebten Themen Führung, Moderation und Präsentation nicht fehlen. Gerade bei Einzelkämpfern fragen sich die Entscheider dann: Wo hat der Trainer beziehungsweise Berater denn die Kompetenz für all diese Themen erworben? Ähnliches gilt aber auch für größere Trainings- und Beratungsanbieter. Auch ihre Angebotspalette ist oft so breit, dass keine Kernkompetenz erkennbar ist.
Problem: Unscharfe Definition von Markt und Zielgruppen
Das Erkennen der Kernkompetenz ist jedoch für diejenigen, die externe Trainings- oder Beratungspartner suchen, sehr wichtig. Denn kein Anbieter kann in allen Bereichen gleich kompetent sein. Der Versuch, die Kernkompetenz eines Anbieters über dessen Themenspektrum zu ermitteln, ist oft zum Scheitern verurteilt. Ähnliches passiert beim Versuch, über die Zielgruppendefinition eines Anbieters dessen Stärken oder gar Alleinstellungsmerkmal zu erkunden. Auch dieser Versuch scheitert meist. Denn zumindest jede zweite Zielgruppendefinition ist geprägt von Formulierungen wie „Fach- und Führungskräfte aus Industrie, Handel und Verwaltung“. Kürzer ließe sich formulieren: Jeder, der bereit ist, uns zu bezahlen!
Trotzdem stehen solche Formulierungen in den Werbeunterlagen fast aller Bildungs- und Beratungsanbieter. Warum? Weil sie versuchen, bei ihren Marketingaktivitäten ein möglichst breites Netz aufzuspannen, in der Hoffnung, dass darin einige Kunden hängen bleiben. Doch meistens ist das Gegenteil der Fall: Niemand fühlt sich durch solche vagen Aussagen wirklich angesprochen.
Fakt ist: Die meisten Bildungs- und Beratungsanbieter nehmen sich nicht ausreichend Zeit, um ihre Zielgruppen und ihren Markt zu definieren. Vielleicht deshalb, weil ihre Stärken oft eher im kommunikativen als analytischen Bereich liegen. Deutlich tritt diese Schwäche zumeist dann zutage, wenn sie den Schritt in die Selbständigkeit oder gar den Aufbau eines Beratungsunternehmens mit angestellten Mitarbeitern wagen. Dann müssen sie plötzlich (auch) eine Managementfunktion ausüben und primär systematisch und zielgerichtet Denken und Handeln, beispielsweise beim Erschließen bestimmter Marktsegmente oder Kundengruppen. Plötzlich sind Tätigkeiten gefragt wie:
- Marktprozesse und -strukturen sowie Entscheidungsstrukturen bei Kunden analysieren
- Entscheidungen für und damit zugleich gegen bestimmte Marktsegmente/Kundengruppen treffen (und daran festhalten)
- Strukturen aufbauen, die einen systematischen Auf- und Ausbau von Kundenbeziehungen ermöglichen
- (Kommunikations-)Prozesse installieren, die potenzielle Kunden vom Erstkontakt allmählich zur Kaufentscheidung führen
- Kontrolle, ob die genutzten Marktbearbeitungsinstrumente greifen
Diese rationalen Tätigkeiten bereiten Trainern und Beratern, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, meist große Probleme. Denn sie setzen andere Fähigkeiten als die reine Trainer- und Beratertätigkeit voraus. Plötzlich genügt es nicht mehr, im fachlichen und sozial-kommunikativen Bereich kompetent zu sein; vielmehr hängt ihr Erfolg nun weitgehend davon ab, ob ihnen Folgendes gelingt:
- Stärken beziehungsweise die des Unternehmens glaubhaft nach außen darzustellen
- daraus einen sichtbaren Kundennutzen abzuleiten
- ein Interesse an ihrer Dienstleistung in Kaufentscheidungen umzuwandeln
Beispiel-Fall: Zielgerichtete Vermarktung eines Angebots
An diesem Punkt scheitern viele Berater. Ein Beispiel-Fall, der sich mit der Gründung eines Sprachinstituts befasst, zeigt, wie ein neues Unternehmen sein Angebot zielgerichtet vermarkten kann: Die beiden heutigen Geschäftsführerinnen hatten zunächst jahrelang als freie Trainerinnen für andere Institute gearbeitet bis sie sich entschlossen, den Status Honoarkraft aufzugeben und Unternehmerinnen zu werden. Sie gründeten ein eigenes Institut, das sich darauf spezialisierte, in Deutschland arbeitenden ausländischen Fach- und Führungskräften die deutsche Sprache zu vermitteln.
Aufgrund ihrer Kontakte aus den vorangegangenen Tätigkeiten fanden sich schnell die ersten Kunden. Probleme bereitete ihnen aber die Neukundenakquise mit Menschen, die noch keine Trainingserfahrung mit ihnen gesammelt hatten. Hier sahen sie sich einer übermächtigen Konkurrenz in Form der großen Sprachschulen gegenüber.
1. Analyse des eigenen Unternehmens und des Marktumfelds
Deshalb analysierten die beiden mit externer Unterstützung zunächst ihr eigenes Unternehmen sowie dessen Markt und Umfeld. Dabei stellten die Unternehmerinnen fest, kein möglichst großes Unternehmen aufbauen zu wollen. Sie wollten künftig nur regional tätig sein. Gleichzeitig strebten sie eine Unternehmensgröße an, die es ihnen einerseits ermöglicht, sich für Planungsprozesse zeitweilig zurückzuziehen. Die es andererseits aber auch zulässt, weiterhin als Trainerinnen arbeiten zu können. Eine reine Managementfunktion reizte beide nicht.
Nachdem die Inhaberinnen so ihr persönliches Ziel definiert hatten, zeigte die weitere Analyse: Die meisten großen Sprachschulen beschäftigen Trainer als Honorarkräfte. Diesen zahlen sie relativ niedrige Stunden- beziehungsweise Tagessätze. Daher kommt es hier zu einer hohen Mitarbeiterfluktuation mit der Folge, dass Kunden oft über eine geringe Kontinuität in der Lehrer-Lerner-Beziehung und über Qualitätsschwankungen klagen. Außerdem arbeiten die meisten Mitbewerber fast ausschließlich mit standardisierten Trainingskonzepten, weshalb viele Kunden eine ungenügende Orientierung an ihrem Bedarf beklagen. Die beiden Unternehmerinnen leiteten daraus zwei Stärken ihres Unternehmen ab:
- Wir arbeiten nur mit festangestelltem, studiertem Personal mit mindestens fünf Jahren Berufserfahrung. Dadurch garantieren wir unseren Kunden Kontinuität in der Lehrer-Lerner-Beziehung und eine gleichbleibende Qualität auf hohem Niveau.
- Wir arbeiten ohne standardisierte Trainingskonzepte und -unterlagen. Wir entwickeln sie stets nach dem Bedarf des Kunden.
2. Erarbeitung eines konkreten Unternehmensprofils
In einem weiteren Schritt analysierten beide ihre Kundenstruktur und stellten fest: Mehr als 90 Prozent der Kunden kommen aus dem Dienstleistungssektor wie Versicherungen, Banken oder Werbeagenturen. Diese Menschen nehmen in ihren Unternehmen eine Funktion wahr, bei der die Kommunikation ein wesentliches Element der Leistungserbringung darstellt, also zum Beispiel Verkäufer oder Kundenbetreuer. Die Folge: Beide Geschäftsführerinnen beschlossen, sich künftig als Spezialist für beratungsintensive Branchen und Berufe zu begreifen und ihr Institut dahingehendn auch nach außen zu präsentieren.
Über die Analyse ihres Unternehmens und dessen Umfeld entwickelten die beiden ein Unternehmensprofil, das sich von dem anderer Sprachschulen unterscheidet. Ein Profil, das Sicherheit im Verkauf und im Umgang mit potenziellen Kunden ermöglicht. So lassen sich das Marketing auf bestimmte Zielgruppen konzentrieren und im Gespräch mit Neukunden die Stärken des Unternehmens und der damit verbundene Kundennutzen klar darstellen. So können sogar höhere Preise gerechtfertigt werden. Zudem ist nun bekannt, welche Interessenten besser an andere Sprachinstitute verwiesen werden, denn diese gehören ohnehin nicht mehr zu den Mitbewerbern, da sie in einem anderen Marktsegment operieren.
Die Vorteile der Nischenstrategie
Kennzeichnend für das Konzept der beiden Inhaberinnen des Sprachinstituts ist die mehrdimensionale Bestimmung des Profils ihres Unternehmens. Entsprechendes gilt für die Zielgruppe. Auch sie wird unter anderem nach Region, Branche, Beruf, Problem, Nutzen und Ziel definiert. Das Institut ist damit einen Weg gegangen, den die meisten Trainings- und Beratungsanbieter nicht gehen: Es hat seinen Markt gezielt auf eine relativ geringe Zahl von Nachfragern,verengt die sich durch mehrere gemeinsame Merkmale auszeichnen. Es möchte also eher ein Teilsegment des Marktes durchdringen als den gesamten Markt zu bedienen.
Eine entsprechende Strategie sollten alle kleinen Bildungs- und Beratungsanbieter verfolgen, speziell Newcomer. Sie müssen alles tun, um ihren Markt überschaubar zu machen, damit sie ihre Kunden möglichst genau beobachten können. Nur dann können sie ihnen einen größeren Nutzen als die etablierte Konkurrenz bieten. Haben sie dann den Markteintritt geschafft, können sie ihren Markt immer noch auf verwandte Zielgruppen ausdehnen.
Eine solche Nischenstrategie hat nicht nur einen transparenten Markt als Vorteil. Aus der Überschaubarkeit des Marktes und der begrenzten Zahl potenzieller Kunden ergeben sich weitere Vorteile. Der Anbieter kann...
- sich relativ einfach einen intensiven Kontakt zu seinen potenziellen Kunden aufbauen
- sich schnell ein positives Image aufbauen
- über sein Spezialwissen höhere Preise rechtfertigen
- über seine intime Marktkenntnis und eine darauf aufbauende Produktentwicklung Marktbarrieren für eventuelle Mitbewerber aufbauen und seinen Marktvorsprung ausbauen
Außerdem kann er seine Marketing- und Werbekosten minimieren, weil geringe Streuverluste entstehen.