ZielvereinbarungenWarum Ziele manchmal ins Verderben führen

Leistet nur der mehr, der ambitionierte Ziele hat? Nicht unbedingt. Einseitige Zielvorgaben, hoher Zeitdruck oder Zielkonflikte demotivieren und verleiten zum Risiko. Ein Plädoyer für den dosierten Einsatz von Zielen.

Es ist ein Paradigma, nicht nur in der Betriebswirtschaft: Ohne Ziele geht es nicht. Wer seine Ziele nicht kennt, kommt nirgendwo an, erreicht nichts. Das wollen kein Unternehmen und kein Manager riskieren. Also werden kräftig Ziele ausgegeben und Zielvereinbarungen getroffen. Doch das ist riskant. Denn Ziele können manchmal auch geradewegs ins Verderben führen. Nicht die Tatsache, dass es Ziele gibt, ist problematisch. Es ist vielmehr das Problem, welche Ziele es gibt, welche Funktion sie im Unternehmen haben und wie Vorgesetzte und Mitarbeiter damit umgehen.

1969 gab der damalige Ford-Vorstand Lee Iacocca an seine Entwicklungsingenieure das Ziel aus, ein Auto zu entwickeln, das weniger als 2.000 US-Dollar kosten und zwei Jahre später in den Verkaufsräumen stehen sollte. Das Projekt „Pinto“ wurde ein Desaster. Um den knappen Zeitplan einzuhalten, wurden wichtige Sicherheitstests nicht durchgeführt. Nach der Markteinführung kam es aufgrund von Konstruktionsmängeln zu zahlreichen Unfällen mit Verletzten und sogar Toten.

Viele Ziele sind zu ambitioniert gesetzt

Auch der Management-Professor Maurice Schweitzer hinterfragt das Paradigma der Ziele kritisch. Zitat: „Manager und Wissenschaftler folgen sehr selbstgefällig dem Prinzip, dass es Zielvorgaben braucht. Und sie übersehen deren schädlichen Effekte. Wir meinen, dass das Vorgeben von Zielen bei Weitem überschätzt wird.“

Ein zentrales Problem ist, dass viele Ziele zu ambitioniert und zu hochgesteckt sind. Dahinter steht die Überzeugung: Wenn Mitarbeiter hochgesteckte Ziele vorgegeben bekommen, dann leisten sie mehr und tragen mehr zum Unternehmenserfolg bei. Stattdessen kann es aber passieren, dass sie einen Tunnelblick bekommen und alle Anstrengungen nur noch auf das eine große Ziel ausrichten. Wenn das durch einseitige Anreizsysteme noch gefördert wird, rennen alle wie Lemminge in die gleiche Richtung – und das kann manchmal das Verderben des ganzen Unternehmens sein.

Nur ein großes Ziel oder mehrere kleinere Ziele?

Vorgesetzte wollen und müssen klare Ziele setzen. Doch wenn mehrere Ziele gleichzeitig erreicht werden sollen, steigt die Gefahr von Zielkonflikten, und den Mitarbeitern ist plötzlich gar nichts mehr klar. Auch das ist unbefriedigend. Um diese Blockadesituation zu vermeiden und Zielkonflikte erst gar nicht aufkommen zu lassen, werden dann oft nur ein Ziel oder entsprechend wenig Ziele gesetzt.

Problematisch ist dabei nur: Einseitige Zielvorgaben blenden andere Ziele aus, die trotzdem beachtet werden sollten. Man denke nur an den Verkäufer, der von seinem Chef eine Umsatzvorgabe bekommt. Wenn der Verkäufer dann zum Beispiel Rabatte gibt und dadurch viel Umsatz macht, stimmt am Ende womöglich die Rendite nicht und das Unternehmen fährt Verluste ein. Ein Dilemma.

Oder Zielvorgaben werden zu hochgesteckt. Auch das führt dazu, dass andere Ziele und Rahmenbedingungen ausgeblendet werden. Die Mitarbeiter konzentrieren ihre Kraft auf das eine große Ziel, das sie unbedingt erreichen müssen. Dann werden Kritik unterdrückt oder Bedenkenträger ignoriert. Kommen dann noch Sanktions- und Belohnungssysteme hinzu, die dieses Verhalten fördern, können sich vermeintliche Leistungssteigerungen als direkter Weg in den Abgrund entpuppen.

Zeitdruck macht blind und schadet der Zusammenarbeit

Ziele sind meist nur dann wirksam, wenn sie mit einer Terminvorgabe verknüpft werden. Auch hier neigen Vorgesetzte dazu, Druck zu machen. Sie setzen enge Termine und meinen, damit die Leistung ihrer Mitarbeiter verbessern und mehr aus ihnen herausholen zu können. Das verursacht aber nicht nur Stress, sondern fördert wiederum den Tunnelblick. Alles, was weniger wichtig erscheint, wird ausgeblendet, verdrängt und verschoben. Nachdenken oder prüfen? Alles Zeitverschwendung.

So betreiben die Mitarbeiter nicht nur Raubbau an sich selbst, sondern auch das Unternehmen an seiner Lernfähigkeit. Die Arbeit im Team verschlechtert sich, weil in manchen Kollegen Konkurrenten und Fallensteller gesehen werden, die es verhindern, das Ziel zu erreichen. Wissens- und Erfahrungsaustausch bleiben auf der Strecke.

Ist abzusehen, dass die eng gesetzten Termine nicht eingehalten werden und damit das hochgesteckte Ziel nicht realisierbar ist, stellt sich oft auch Resignation ein. Die Mitarbeiter ziehen sich zurück und konzentrieren sich darauf, die Schuld anderen oder den Umständen zuzuschreiben. Andere wiederum flüchten sich in operative, ziellose Hektik.

Zu hohe Ziele verleiten zum Eingehen hoher Risiken

Um hochgesteckte Ziele zu erreichen, gehen Mitarbeiter auch besondere Risiken ein. Sie missachten Normen und Standards und brechen im schlimmsten Fall sogar gesetzliche Vorgaben oder Compliance-Regeln. Wird das nach außen hin sichtbar, droht ein Imageschaden. Um noch einmal auf das Beispiel „Pinto“ von Ford zurückzukommen: Der Autobauer nahm bewusst Sicherheitsmängel in Kauf, um die Termin- und Kostenziele zu erreichen – mit den erwähnten tragischen Konsequenzen.

Wer feststellt, dass er seine Zielvorgaben nicht erreicht, der wird auch leicht zum Betrüger. Der fälscht vielleicht den Nachweis über geleistete Arbeitsstunden oder frisiert Verkaufszahlen, damit es am Ende so aussieht, als seien die Vorgaben erreicht worden. Je knapper jedenfalls das Ziel verfehlt wird, desto größer der Anreiz zum Betrug, sagt auch Maurice Schweitzer, der das in Laborexperimenten herausgefunden hat.

Keine Ziele ohne Analyse der Nebenwirkungen

Sollen Ziele nicht ins Verderben führen, müssen sie auch mit anderen Zielen, Rahmenbedingungen und Regelungen verknüpft werden. Keine Zielvereinbarung ohne Analyse der Nebenwirkungen! Grundsätzlich sollte im Einzelfall immer geprüft werden, ob es Ziele und Vorgaben überhaupt braucht, denn oft sind es schon die Rahmenbedingungen im Unternehmen, die dazu beitragen, dass die übergeordneten Ziele erreicht werden.

Wie wäre es zum Beispiel mit einer grundsätzlichen Kultur der Leistungsorientierung nach dem Motto „Jeder gibt sein Bestes“? Oder klaren Regeln und Standards, die von Vorgesetzten beachtet, durchgesetzt und vorgelebt werden? Sicher: Formale Zielsysteme haben ihre Berechtigung und bleiben auch weiterhin wichtig. Unternehmen und Vorgesetzte sollten nur zurückhaltender und besonnener damit umgehen und eher Wert auf die persönlichen Entwicklungsziele ihrer Mitarbeiter im Sinne eines „Ich will besser werden“ legen.

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