ZukunftsfragenWas bringt die Zukunft und wie können wir sie meistern?
Was wäre passiert, wenn ein „Wirtschaftsweiser“ Anfang 2008 prognostiziert hätte „In einigen Monaten kollabiert die Automobilindustrie weltweit, und die Banken leihen sich wechselseitig kein Geld mehr.“? Er wäre verlacht worden. Und was wäre geschehen, wenn ein Politiker gefordert hätte: „Wir sollten den internationalen Finanzmarkt schärfer regulieren und erwägen, einzelne Banken teilweise zu verstaatlichen.“? Nicht nur seine Berufskollegen hätten den Kopf geschüttelt und verkündet: Auf solche Gedanken aus der marxistisch-leninistischen Mottenkiste kann nur ein ewig Gestriger kommen.
Obige Beispiele zeigen: Das wirtschafts- und marktpolitische Umfeld der Unternehmen hat sich im vergangenen Jahr radikal verändert. Und viele Paradigmen sowie Maximen, aus denen die Betriebe noch vor wenigen Monaten ihre strategischen Entscheidungen ableiteten, sind heute obsolet – und folglich auch zahlreiche Folgeentscheidungen, die darauf abzielten, die von den Unternehmensführern definierten Ziele zu erreichen. Zum Beispiel die Antworten auf die Fragen:
- Wer sind unsere (Ziel-) Kunden?
- Wie strukturieren wir unsere Produktion und unseren Vertrieb?
- Wie sichern wir unsere Liquidität?
Grundlagen der Entscheidungen wurden hinfällig
Viele dieser (Folge-) Entscheidungen wurden dadurch, dass sich das Unternehmensumfeld wandelte, sozusagen der Boden unter den Füssen entzogen. Deshalb stehen zahlreiche Unternehmen aktuell vor der Herausforderung, ihre strategischen (Folge-) Entscheidungen zu überdenken. Denn klar ist: So weiter machen wie bisher können wir nicht. Unklar ist aber vielfach: Wie kann es weiter gehen?
An solche Punkte, an denen sie einen großen Teil ihrer Entscheidungen überdenken mussten, kamen Unternehmen auch in der Vergangenheit immer wieder – zum Beispiel, nachdem sie oft jahrelang versucht hatten, die in ihrer Fertigung oder ihrem Vertrieb praktizierten Verfahren zu optimieren. Dann stellten sie irgendwann fest: Die Möglichkeiten der bisherigen „Technik“ sind ausgereizt. Mit ihr lassen sich keine Quantensprünge mehr erzielen. Um diese zu erreichen, müssen wir ganz neue Wege beschreiten. Organisationsberater nennen einen solchen fundamentalen Wandel einen Musterwechsel, denn hierbei stehen nicht nur die gewohnten Verfahren auf dem Prüfstand. Auch die Art, die Realität zu betrachten und zu bewerten, wird hinterfragt, um zu ganz neuen Lösungsansätzen zu gelangen.
Paradigmenwechsel erfolgte quasi über Nacht
Dass Unternehmen einen Musterwechsel vollziehen müssen, ist also nicht neu. Was die aktuelle Situation jedoch einzigartig macht, ist: Nicht nur einzelne Betriebe, sondern ganze Branchen weltweit, wenn nicht gar alle Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihre tradierten Denk- und Handlungsmuster (zumindest) zu überprüfen. Des Weiteren: Der Paradigmenwechsel, der einen Musterwechsel erfordert, vollzog sich nicht schleichend über viele Jahre, sondern scheinbar über Nacht.
Hierin liegt für die einzelnen Unternehmen jedoch auch eine Chance. Denn jeder Musterwechsel setzt voraus, dass sich in einer Organisation zunächst das Gefühl verdichtet: „Wir nähern uns einer Grenze. Wenn wir an unseren bisherigen Denkmustern und Verfahrensweisen festhalten, scheitern wir auf lange Sicht.“ Ein solches gemeinsames Empfinden in einer Organisation zu schaffen, ist vielfach schwer – speziell dann, wenn die Organisation auf den ersten Blick noch gut dasteht: Die Zahlen stimmen, die Kunden sind zufrieden und von den Mitbewerbern geht keine sichtbare Bedrohung aus.
Dann erkennen viele Mitarbeiter die Notwendigkeit eines Musterwechsels noch nicht, selbst wenn erste Indikatoren schon auf eine Gefährdung hinweisen. Also müssen in einer solchen Situation in der Organisation zunächst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass über die Frage „Sollten wir einen Musterwechsel vollziehen?“ überhaupt gesprochen werden kann. Ohne externe Unterstützung gelingt dies selten.
Für jeden ist erkennbar: Es muss etwas geschehen
Anders ist dies in der aktuellen Situation. In ihr ist für alle Mitglieder der Organisation, vom Pförtner bis zum Vorstand, offensichtlich, dass sich im Unternehmensumfeld ein Paradigmenwechsel vollzieht. Entsprechend leicht kann den Beteiligten vermittelt werden: Wir müssen zumindest darüber nachdenken, inwieweit unsere bisherige Art, Probleme zu lösen und Herausforderungen zu meistern, noch den geänderten Rahmenbedingungen entspricht?
Zeigt sich in diesem Reflektions- sowie Meinungsbildungsprozess, dass ein Musterwechsel nötig ist, stellt sich die Frage: Wie könnte das neue Muster aussehen? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten – vor allem, weil das Ziel eines Musterwechsels stets ist, das Unternehmen zukunfts-fit zu machen. Die Zukunft ist aber noch nicht Gegenwart. Also kann die Frage, was ist nötig und sinnvoll, nicht allein anhand von Daten und Fakten beantwortet werden.
Auch Einschätzungen und Annahmen spielen eine wichtige Rolle – zum Beispiel darüber: Wie entwickelt sich die Wirtschaftskrise weiter? Verschärft sie sich oder nicht? Welche Technologien sowie Lösungswege werden aufgrund der geänderten Paradigmen künftig eher „boomen“, welche nicht? Wie wird sich der Kapitalmarkt verändern? Wie werden unsere Mitbewerber auf die geänderten Rahmenbedingungen reagieren? Alles Fragen, die sich in der aktuellen Situation, in der der Paradigmenwechsel noch voll in Gang ist, nur bedingt beantworten lassen. Entsprechend viele Unwägbarkeiten fließen in die vorläufigen Antworten ein.
Mut zu bisher undenkbaren Lösungen
In einem solch diffusen Umfeld die nötigen Weichenstellungen zu vollziehen, fällt selbst gestandenen Managern schwer – sogar in „normalen“ Zeiten. Also suchen sie, wenn ein Musterwechsel ansteht, oft nach Richtschnüren für ihre Entscheidungen. Die Folge: Häufig verkünden die obersten Lenker der Unternehmen fast wortgleich dieselben Management-Credos – branchenübergreifend. Eine Ursache hierfür ist: Den Unternehmen fehlen vielfach Alternativen zu den gängigen Lösungskonzepten.
Zudem fehlt den Unternehmensführern zuweilen der Mut, eigene Wege zu beschreiten. Das konnte man in den vergangenen Jahren wiederholt beobachten. Hierfür ein Beispiel: Bis vor zwei, drei Jahren verkündete alle Welt (inklusive der Finanzanalysten und externen Berater) als das Erfolgsrezept für Unternehmen „Besinnt Euch auf Eure Kernkompetenzen“. Also setzten fast alle Unternehmensführer auf dieses „Erfolgsrezept“. Denn wer dem Mainstream folgt, erntet wenig Widerspruch. Außerdem lassen sich dann einfacher Koalitionen schmieden, als wenn man einen anderen Lösungsweg als die „Hammelherde“ präferiert.
Dabei wäre dies oft nötig. Denn wenn fast alle Unternehmen weitgehend dieselbe Strategie verfolgen, steht von Beginn an fest: Einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil können sich hierdurch nur ein, zwei Unternehmen verschaffen. Also lautet eine Kernaufgabe, wenn es um einen Musterwechsel geht, sich zunächst Entscheidungs- und Handlungsalternativen zu erarbeiten – sonst ist kein echtes Entscheiden möglich.
Mitglieder des Vorstands müssen sich einig sein
Sind die Alternativen auf dem Tisch, gilt es, die beste zu realisieren. In sozialen Systemen wie Unternehmen gestaltet sich dies oft schwierig. Denn bereits darüber, was die beste Lösung ist, gehen die Meinungen häufig weit auseinander – selbst in den Vorständen. Deshalb kann die für die Veränderung nötige strategische Grundsatzentscheidung oft nicht im Konsens getroffen werden. Vielmehr müssen irgendwann ein, zwei Personen, die das Sagen haben, das Heft in die Hand nehmen und wie Ex-Kanzler Schröder verkünden: „So machen wir das – Punkt, aus, basta.“ Woraufhin es dann zuweilen einige Zeit später in einer Presseerklärung heißt: „Vertriebsleiter x ...“ oder „Vorstand y verließ das Unternehmen wegen unüberbrückbarer Differenzen.“
Dessen ungeachtet sollte die für den Musterwechsel erforderliche strategische Grundsatzentscheidung zumindest im oberen Führungskreis soweit möglich im Konsens getroffen werden – damit sie auf einer soliden Basis steht. Also gilt es im Vorfeld zunächst so viele Indizien wie möglich darüber zu sammeln, warum ein bestimmter Lösungsweg mit hoher Wahrscheinlichkeit der richtige ist. Denn wie soll die Notwendigkeit, einen Musterwechsel zu vollziehen und einen bestimmten Lösungsweg zu beschreiten, den Mitarbeitern (und gegebenenfalls externen Partnern wie Kunden und Lieferanten) vermittelt werden, wenn hierüber noch nicht einmal in der Führungsmannschaft eine weitgehende Einigkeit besteht?
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