Kapitel 174: NutzwertanalyseBeispiel für eine Nutzwertanalyse

Das folgende Beispiel zeigt, wie Sie vorgehen, wenn Sie eine Nutzwertanalyse durchführen. Sie werden Schritt für Schritt und mit Abbildungen durch den Prozess der Bewertung von Handlungsoptionen geführt. Grundlage ist eine Excel-Vorlage, die beim Zusammenstellen der Informationen und beim Berechnen der Nutzwerte hilft.

Wofür soll eine Nutzwertanalyse durchgeführt werden?

Ihr Unternehmen verkauft seine Produkte hauptsächlich im Direktvertrieb über Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Außendienst. Diese sind viel unterwegs, vor Ort beim Kunden. Außerdem sind zahlreiche Mitarbeitende im Kundenservice aktiv, die ebenfalls oft beim Kunden vor Ort eingesetzt werden: für Wartung, Instandsetzung oder Schulung. Dafür nutzen sie Dienstfahrzeuge. Sie planen, die gesamte Dienstfahrzeug-Flotte für den Außendienst schrittweise zu erneuern und wollen dazu mit einem Automobil- oder Mobilitätsanbieter langfristig zusammenarbeiten.

Ihre Aufgabe ist es, eine Entscheidungsvorlage zu erstellen, auf deren Grundlage die Geschäftsleitung prüft und entscheidet, mit welchem Anbieter Ihr Unternehmen langfristig zusammenarbeiten will. Dabei kommt es nicht nur auf die Kosten an, sondern auch auf weitere Ziele in Bezug auf die Stakeholder „Kunde“ und „Mitarbeiter“. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen das Dienstfahrzeug auch privat nutzen. Das ist wichtig für die Mitarbeiterbindung.

Welche Ziele und Bewertungskriterien sind relevant?

Da Sie für Ihre Dienstwagen-Flotte eine langfristige Lösung suchen, die möglichst unkompliziert und reibungslos funktioniert, kommt es vor allem auf die Servicequalität des Dienstleisters an. Der Anbieter soll Ihnen nicht nur Fahrzeuge zur Verfügung stellen (oder verkaufen), sondern vielfältige Aufgaben rund um den Fahrzeugservice übernehmen.

Außerdem spielt das Angebot an Dienstfahrzeugen eine wichtige Rolle, wenn es um die Mitarbeiterzufriedenheit und Mitarbeiterbindung geht – gerade im Außendienst und Kundenservice. Die Mitarbeitenden schätzen, dass sie das Fahrzeug auch privat nutzen dürfen und verknüpfen die Auswahl deshalb mit ihren persönlichen Belangen. Je besser diese erfüllt werden, desto zufriedener die Mitarbeitenden.

Weitere wichtige Ziele und Bewertungskriterien betreffen die Aspekte Investition, Finanzierung und Total Cost of Ownership. Zudem sind einige Belange der Planung und Logistik im Bereich Kundenservice sowie technische Ausstattungsmöglichkeiten zu beachten. Und nicht zuletzt ist das Dienstfahrzeug auch ein Aushängeschild gegenüber Kunden.

Aus diesen Anforderungen leiten Sie die wichtigen Ziele und Bewertungskriterien ab, anhand derer Sie die Handlungsoptionen und Anbieter bewerten und auswählen wollen. In Abbildung 1 sind diese in einer Übersicht dargestellt.

Abbildung 1: Ziele und Bewertungskriterien für die Nutzwertanalyse (Beispiel)

Was Sie bei der Festlegung der Ziele und Bewertungskriterien beachten sollten

Bei der Formulierung der Ziele und Bewertungskriterien sollten einige Bedingungen beachtet werden, die für die Nutzwertanalyse und die Bewertung von Handlungsoptionen wichtig sind. Das sind vor allem:

  • Die Ziele müssen wirklich relevant sein. Sie stehen in einem direkten Bezug zum Entscheidungsproblem und sind aus übergeordneter Sicht wichtig; sie leiten sich beispielsweise aus Unternehmenszielen oder aus der Unternehmensstrategie ab.
  • Die Anzahl der Ziele sollte überschaubar sein, sodass die Entscheider diese überblicken, vergleichen und beurteilen können. Sind viele Ziele wichtig, sollten diese gruppiert werden.
  • Bei der Konkretisierung der Ziele durch Bewertungskriterien sollte darauf geachtet werden, dass ein Ziel nicht in zu viele Kriterien untergliedert wird. Ansonsten fällt es dem Entscheider wiederum schwer, deren Bedeutung und Wichtigkeit einschätzen und zu gewichten.
  • Ziele und Bewertungskriterien sollten vollständig sein. Das heißt, sie decken alle Aspekte ab, die wirklich wichtig sind. Wenn ein Ziel oder Kriterium, das für die Entscheidung wichtig ist, in der Nutzwertanalyse nicht betrachtet wird, ergibt sich ein falsches Ergebnis.
  • K.O.-Kriterien sind Filter für die Auswahl der Handlungsoptionen. Die Option, die ein solches Kriterium nicht erfüllt, wird in der Nutzwertanalyse nicht betrachtet.
  • Die Ziele und Bewertungskriterien sollten überschneidungsfrei sein. Sie sollten also jeweils getrennte und voneinander unabhängige Kriterien für die Bewertung heranziehen. Ansonsten wird ein und derselbe Sachverhalt mehrfach bewertet – und gewinnt dadurch ein höheres Gewicht.

Welche Handlungsoptionen gibt es?

Vor dem Hintergrund der Entscheidungssituation sowie der Anforderungen und Ziele haben Sie mögliche Handlungsoptionen zusammengestellt und alle wichtigen Informationen dazu recherchiert. Das sind vor allem die Angebote von drei erfahrenen Mobilitätsdienstleistern, die Ihre Ausschreibung mit Ihren Anforderungen (Lastenheft) beantwortet und ein qualifiziertes Angebot abgegeben haben.

In diesem Beispiel haben zwei Automobilunternehmen über ihre Dienstleister zum „Flottenmanagement“ sowie ein Dienstleistungsunternehmen, das unabhängig von einer Automarke operiert, ein Angebot abgegeben:

  • Mercedes
  • Volkswagen
  • markenunabhängiger Flottenmanager

Hinweis

Die folgenden Angaben und Bewertungen sind fiktiv und basieren nicht auf realen Gegebenheiten oder Angeboten.

Wie gewichten Sie die Ziele und Bewertungskriterien für die Nutzwertanalyse?

Nicht alle Ziele und Bewertungskriterien sind für Sie und Ihre Entscheider gleich wichtig. Sie ordnen ihnen unterschiedliche Gewichte zu. Dazu diskutieren Sie zunächst auf der allgemeinen Ebene der fünf Zielbereiche, welche Aspekte wichtiger sind als andere. Als Methode nutzen Sie dafür den Paarvergleich. Das Ergebnis für ein Mitglied im Entscheidungsgremium, zum Beispiel Frau Müller, sehen Sie in Abbildung 2.

Abbildung 2: Paarvergleich und Zielgewichtung durch einen Entscheider (Beispiel)

Abbildung 2 zeigt, dass Frau Müller dem Aspekt „Qualifikation Dienstleister“ die höchste Priorität einräumt, indem sie diesen Aspekt viermal „wichtiger“ einstuft; der Zielbereich hat vier Nennungen. Andere Entscheider führen einen entsprechenden Paarvergleich ebenfalls durch, haben aber andere Präferenzen und Rangfolgen.

Sie führen die einzelnen Entscheider-Bewertungen zusammen, indem Sie die Anzahl der Präferenz-Nennungen für alle Mitglieder des Entscheidungsgremiums addieren. Daraus ergeben sich die Gewichte für die einzelnen Zielbereiche. Die Gewichte für die Bewertungskriterien ermitteln Sie ebenfalls durch Paarvergleiche innerhalb eines Zielbereichs. So erhalten Sie eine Tabelle mit allen Gewichtungen wie in Abbildung 3.

Abbildung 3: Zielbereiche und Bewertungskriterien mit Gewichtung (Beispiel)

Welchen Teilnutzen haben die Handlungsoptionen mit ihren Leistungen?

Im nächsten Schritt geht es darum festzulegen, welche Leistungen einer Handlungsoption mit welchem Teilnutzenwert bewertet werden. Dazu erstellen Sie eine Tabelle wie in Abbildung 4. Sie führen dort alle Bewertungskriterien aus den einzelnen Zielbereichen A bis E auf und erläutern, wie die Leistung im Einzelnen gemessen wird. Sie legen das Messkriterium und die Messeinheit fest.

Dann übertragen Sie die möglichen Leistungen auf die Skala der Teilnutzenwerte. In Abbildung 4 wird dazu eine Skala mit den Werten von 0 bis 5 verwendet mit folgender Bedeutung:

  • 0: sehr schlecht / nicht vorhanden
  • 1: schlecht / kaum vorhanden
  • 2: etwas schlecht / gering vorhanden
  • 3: etwas gut / teilweise vorhanden
  • 4: gut / weitgehend vorhanden
  • 5: sehr gut / vollständig vorhanden
Abbildung 4: Leistungsindikatoren auf Teilnutzenwerte übertragen (Beispiel)

Wie bewerten Sie die Leistungen der einzelnen Handlungsoptionen?

Nun vergleichen Sie die einzelnen Handlungsoptionen bezüglich der Bewertungskriterien. Sie prüfen für jede Handlungsoption deren Leistung und Nutzenbeitrag für jedes einzelne Bewertungskriterium und vergeben nach Ihrer Zuordnung aus Abbildung 4 einen Teilnutzenwert zwischen 0 und 5.

Die Teilnutzenwerte werden dann mit dem Gewicht des einzelnen Bewertungskriteriums gemäß Ihrer Gewichtung in Abbildung 3 multipliziert und zu einem Gesamtgewicht für die Handlungsoption addiert. Das Ergebnis sehen Sie in Abbildung 5 in der Spalte Punkte und in der Zeile mit dem Gesamtnutzen.

Abbildung 5: Bewertung der Handlungsoptionen anhand ihrer Leistungen (Beispiel)

Wenn für alle Handlungsoptionen die Punkte, die gewichteten Teilnutzenwerte, addiert werden, ergibt sich der jeweilige Gesamtnutzen. Die Option mit der höchsten Punktzahl und dem höchsten Gesamtnutzen ist nach der Methode Nutzwertanalyse die beste – und sollte aus rationalen Erwägungen gewählt werden. Denn sie liefert den höchsten Beitrag zur Zielerreichung. In diesem Beispiel aus Abbildung 5 wäre dies das Angebot von Volkswagen.

Welche Erkenntnisse lassen sich daraus ableiten?

Das Ergebnis der Nutzwertanalyse kann dem entsprechen, was schon vorher, „aus dem Bauch heraus“, ebenfalls als die beste Handlungsoption eingeschätzt wurde. Das bekräftigt, dass die Vorgehensweise, die Auswahl der Ziele und der Bewertungskriterien sowie die Gewichtung in etwa dem entspricht, was für die Beteiligten und das Entscheidungsgremium wirklich wichtig ist. Mit der Nutzwertanalyse wird dies in einem gemeinsamen Prozess, dessen Schritte jeder nachvollziehen kann, auf strukturierte und wohlüberlegte Weise dargestellt und transparent gemacht.

Die Nutzwertanalyse zeigt, warum eine Handlungsoption unter dem Strich die beste ist und was sie auszeichnet. In diesem Falle sind es bei Handlungsoption „Volkswagen“ insbesondere die Kriterien: Breite der Fahrzeugpalette, langjährige Erfahrung und Tauglichkeit als Familienfahrzeug für die Mitarbeiter. Außerdem passt die Fahrzeugmarke zum Unternehmensimage. Das zeigt die hohe Punktzahl bei den entsprechenden Kriterien.

Die Wirtschaftlichkeit ist zwar in einem guten Bereich, liegt aber hinter dem Angebot des unabhängigen Dienstleisters zurück. Dort sind Investitionen, Betriebskosten und Kostensteigerung deutlich geringer (mehr Nutzen zur Zielerreichung). Aber durch die geringe Gewichtung vonseiten der Entscheider, tritt diese Schwäche in den Hintergrund.

Wenn das Ergebnis der Nutzwertanalyse den Entscheidern nicht passt

Gelegentlich widerspricht das Ergebnis der Nutzwertanalyse dem „Bauchgefühl“ oder der Meinung der Entscheider. Das kann zwei Gründe haben:

Entscheider haben Vorurteile

Jeder hatte für sich bereits im Vorfeld eine Bewertung vorgenommen und ein Urteil zu den Handlungsoptionen gefällt. Das kann falsch und damit ein Vorurteil sein, das nun durch die systematische Vorgehensweise mit der Nutzwertanalyse widerlegt ist. Die Entscheider erkennen, dass sie zunächst falsch lagen und folgen der Empfehlung aus dem Ergebnis der Nutzwertanalyse.

Wichtige Ziele wurden bei der Nutzwertanalyse nicht berücksichtigt

Wenn die Bewertung sich nicht ändern lässt, sondern die Entscheider nach der Nutzwertanalyse meinen, dass das Ergebnis nicht richtig ist und sie sich anders entscheiden wollen, dann spielen weitere Ziele, Motive oder Bewertungskriterien eine Rolle, die bei der Nutzwertanalyse nicht betrachtet wurden.

Die Zielgewichte wurden falsch vergeben

Manchmal werden auch die Ziele vorab falsch gewichtet. Bei der Gewichtung mit dem Paarweisen Vergleich liegen zwei Ziele und ihre Bedeutung eng beieinander. In der jeweiligen Situation wird eine Präferenz ausgedrückt, die später doch anders ist. Beim zweiten Nachdenken würden die Entscheider also eine andere Gewichtung vornehmen.

Im zweiten Fall sollte die Nutzwertanalyse korrigiert werden. Zum einen können die bislang nicht betrachteten Kriterien nun explizit einbezogen werden. Wenn es sich um übergeordnete oder K.O.-Kriterien handelt, werden diese in die Argumentation eingebunden. Sie erklären, warum die Entscheidung für die zweitbeste Alternative getroffen wurde.

Wenn die Gewichte nicht richtig eingeschätzt wurden, können diese im Rahmen einer Sensitivitätsanalyse verändert werden. Dabei können mehrere Szenarien betrachtet und geprüft werden, bei welcher Gewichtung eine Entscheidung für eine andere Handlungsoption ausfällt.

Daraus wird sichtbar, was den Entscheidern wirklich wichtig ist. Und diese Erkenntnis ist hilfreich, um die Erfolgsfaktoren und kritischen Merkmale einer Handlungsoption zu identifizieren – und dann bei der Umsetzung der Entscheidung zu beachten. Das trägt wesentlich dazu bei, dass die Umsetzung besser verläuft oder dass Lösungen optimiert werden können; zum Beispiel durch Nachverhandlungen mit dem Anbieter beim Preis oder dadurch, dass eine vierte Option entwickelt wird.

Praxis

Mit den folgenden Vorlagen können Sie eine Nutzwertanalyse durchführen. Sie helfen, alle notwendigen Informationen zusammenzutragen und in einer Excel-Tabelle darzustellen. Damit können Sie Ziele und Bewertungskriterien erfassen und die einzelnen Handlungsoptionen bewerten. Das Beispiel oben zeigt, wie Sie dabei vorgehen sollten. Die folgenden Vorlagen können Sie leicht an Ihre Fragestellungen und Entscheidungssituation anpassen.

Entscheidungssituation beschreiben

Beschreiben Sie dazu zunächst die Entscheidungssituation in Stichworten und recherchieren Sie dann alle notwendigen Informationen. Fassen Sie dies in der folgenden Vorlage zusammen.

Excel-Vorlage für die Nutzwertanalyse

Führen Sie dann mithilfe der folgenden Excel-Vorlage die Nutzwertanalyse durch. Sie ist auch Grundlage für die Abbildungen und Erläuterungen zum hier vorgestellten Beispiel für eine Nutzwertanalyse.

Ergebnisse für eine Entscheidung aufbereiten und visualisieren

Die Ergebnisse der Nutzwertanalyse können Sie in unterschiedlicher Form für eine Entscheidungsvorlage oder Präsentation aufbereiten. Oft werden dabei Symbole eingesetzt, die den Beitrag einer Handlungsoption zur Zielerreichung zeigen sollen. Die folgende Excel-Vorlage zeigt, wie Sie Nutzwerte und Bewertungspunkte für das Beispiel Dienstfahrzeug in einer Tabelle abbilden können.

Besprechen Sie am Ende das Ergebnis der Nutzwertanalyse in Ihrem Entscheidungsgremium.

  • Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
  • Wodurch wird die Entscheidung begründet?
  • Welche Argumente sprechen für die einzelnen Handlungsoptionen?
  • Welche Argumente sind maßgeblich für die Entscheidung?
  • Welche Erfolgsfaktoren und Bedingungen leiten Sie daraus für die Umsetzung der Entscheidung ab?
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