Kapitel 130: Interkulturelle Teams führenUnterschiede in interkulturellen Teams beachten

Woran erkennt man die kulturbedingten Unterschiede bei Teammitgliedern? Wie lassen sich Verhalten, Meinungen und Fähigkeiten kulturell deuten? Und was lässt sich daraus für Teamleitung und Führungskräfte ableiten? Die Kulturdimensionen nach Geert Hofstede helfen der Führungskraft, sich auf die jeweilige Führungssituation im interkulturellen Team einzustellen.

Wo werden kulturelle Unterschiede im Team sichtbar?

Nur weil sich Teammitglieder im Kleidungsstil ähneln, die gleichen Technologien nutzen und dieselbe Sprache sprechen, erwarten Führungskräfte und Mitarbeitende, dass ihre Kolleginnen und Kollegen ähnlich denken, fühlen und handeln. Häufig werden die Unterschiede innerhalb multikultureller Teams unterschätzt.

Die Wissenschaftler Christoph I. Barmeyer und Eric Davoine untersuchten die Zusammenarbeit und Führung eines französisch-deutschen Teams. Ihre Erkenntnis: Es sei problematisch, dass die „geglaubte Selbstverständlichkeit“ nicht thematisiert werde, sodass unterschiedliche Auffassungen von Teamarbeit verborgen blieben.

Die teils durch den kulturellen Hintergrund bedingten, gegensätzlichen Auffassungen von Teamarbeit würden den Erfolg des Teams beeinflussen.

Unterschiedliche Auffassungen von Teamarbeit zeigen sich insbesondere bei:

  • Problemlösungsstrategie: Wie werden Probleme gelöst?
  • Entscheidungsfindungsprozess: In welcher Art und Weise werden Entscheidungen getroffen?
  • Kommunikationsmethoden: Wie werden Körpersprache und Gesten interpretiert? Welche Bedeutung haben Wörter? Welche Annahmen werden aus einer Situation abgeleitet?
  • Vertrauensbildung: Wie wird das Verhalten des Kommunikationspartners verstanden?

Die Unterschiede in diesen Bereichen beeinflussen wiederum die Leistungen interkultureller Teams.

Kulturunterschiede ergeben sich aus Wertesystemen

Welche Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen welchen Kulturen bestehen, arbeiteten Forscher wie Geert Hofstede anhand mehrerer Erhebungen in über 70 Ländern heraus. Die Grundlage für Hofstedes Untersuchung bildeten umfangreiche Befragungen unter den weltweit Beschäftigten des IBM-Konzerns.

Er bildete verschiedene Kulturdimensionen. Sie basieren auf grundlegenden Wertesystemen als Aspekt einer Kultur im Verhältnis zu anderen Kulturen und versuchen, menschliches Verhalten zu beschreiben. Wertsysteme offenbaren sich als:

Sichtbare Unterschiede: Symbole, Helden und Rituale

  • Symbole: Wörter, Gestik, Bilder, Gegenstände oder Statussymbole wie Frisuren oder Jargon
  • Helden: Lebende oder verstorbene, real existierende oder imaginäre Personen, die die wertgeschätzten Eigentümlichkeiten innerhalb der Kultur repräsentieren und als Vorbild der jeweiligen Gesellschaft dienen
  • Rituale: kollektive Verhaltensmuster wie soziale oder religiöse Zeremonien

Unsichtbare Werte

Werte spiegeln sich in den Verhaltensweisen wider und werden durch Sozialisation erworben.

Kultur ist ein Konstrukt aus verschiedenen Ebenen – ähnlich dem Aufbau einer Zwiebel. So wie Zwiebelschalen sind einige Elemente mehr, andere weniger von außen sichtbar. Die unsichtbaren Werte befinden sich im Innern.

Es folgen von innen nach außen Rituale, Helden und Symbole. Quer zu allen Schichten liegen die Praktiken. Während die Praktiken sichtbar sind, ist ihre kulturelle Bedeutung nicht sichtbar. 

Stichwort

Kultur

Kultur ist nach Geert Hofstede mentale Programmierung des Verstandes. Sie unterscheidet Mitglieder verschiedener Gruppen voneinander. Der Verstand steht für Kopf (Denken), Herz (Gefühle) und Hände (Fertigkeiten). Der Verstand umfasst also Wissen, Meinungen, Glauben, Einstellungen und Fähigkeiten.

Kulturdimensionen nach Geert Hofstede

Die einzelnen Kulturdimensionen zeigen, welche Verhaltens- und Arbeitsweisen die Mitarbeitenden des jeweiligen Kulturhintergrunds bevorzugen. Führungskräfte sollten über Informationen zum kulturellen Hintergrund verfügen, damit sie ihren persönlichen Umgang mit den Teammitgliedern abstimmen können und so die gewünschten Ergebnisse erzielen. Geert Hofstede unterscheidet folgende Kulturdimensionen:

Machtdistanzindex (MDI)

In jeder Kultur gehen Unternehmen unterschiedlich mit Macht um. Inwieweit Mitarbeitende ungleiche Machtverhältnisse erwarten und akzeptieren, also auch inwieweit sie von anderen Mitarbeitenden abhängig sind, misst der MDI. Teammitglieder aus Ländern mit hohem MDI akzeptieren die ungleiche Machtverteilung im Vergleich zu Teammitgliedern aus Ländern mit niedrigem MDI eher und sehen diese als selbstverständlich an.

Kennzeichen für einen hohen MDI

Denken in starren Hierarchien und Strukturen, Rechtfertigung sozialer und ökonomischer Unterschiede, zentrale Organisationsform, patriarchalischer und autokratischer Führungsstil, Vorrang von Unternehmensinteressen vor Interessen Einzelner, Konformität mit der Gruppe und mit den Regeln des Unternehmens, Befolgung von Entscheidungen der Teamleitung.

Länder mit hohem MDI

Die meisten der asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten. Außerdem Italien, Belgien, Frankreich.

Kennzeichen für einen niedrigen MDI

Wenig Ungleichheit zwischen den Mitarbeitenden, dezentrale Organisationsform, wenig emotionale Distanz zwischen Teammitglied und Teamleitung, Vorrang von persönlichen Werten und Interessen vor Befolgung der Unternehmensregeln.

Länder mit niedrigem MDI

Deutschland, USA, Großbritannien, skandinavische Länder.

Unsicherheitsvermeidungsindex (UVI)

Während Mitarbeitende der einen Kultur Unsicherheit als Bedrohung empfinden und Veränderungen eher ablehnen, gelten in anderen Kulturen Unsicherheiten, Risiken und ein mögliches Scheitern als Normalität. Dieses Denken wirkt sich darauf aus, inwieweit sich Teammitglieder durch ungewisse und unbekannte Umstände bedroht fühlen.

Der UVI beschreibt, wie Mitarbeitende diese Unsicherheit durch den Gebrauch von Regeln und Strategien vermeiden, also ob sie strukturierte oder unstrukturierte Situationen vorziehen.

Kennzeichen für einen hohen UVI

Formale soziale Beziehungen, strikte Einhaltung von Regeln und Vorgehensweisen, Standardisierung von Gruppenverhalten, Vorrang von Unternehmensinteressen vor Einzelinteressen.

Länder mit hohem UVI

Australien, Griechenland, Malta, Portugal.

Kennzeichen für einen niedrigen UVI

Toleranz und Akzeptanz von Unsicherheit als Teil des Lebens, Begeisterung für eigene Interessen und Förderung dieser, relatives Zeitempfinden, Unpünktlichkeit, mehr Freiraum für innovative Ideen.

Länder mit niedrigem UVI

China, Dänemark, Singapur.

Auf der Skala der Unsicherheitsvermeidung liegt Deutschland im Mittelfeld.

Individualitätsindex (IDV)

Kulturen mit hohem IDV sind individualistische Gesellschaften, in denen die Identität einer Person im Mittelpunkt steht, während ein niedriger Wert für kollektivistische Gesellschaften stehen, in welchen die Gruppe wichtiger ist. Inwieweit beide Aspekte miteinander verbunden sind, wirkt sich auf das Zusammenleben der Menschen aus.

Kennzeichen für einen hohen IDV

Individuelle Autonomie ist wichtiger als Zugehörigkeit zu einer Organisation, Kernfamilie als Bezugspunkt, wenig Beziehungen zu anderen, geringe emotionale Abhängigkeit gegenüber der Teamleitung, Vorrang von Unabhängigkeit und individuellen Zielen vor Gruppeninteressen.

Länder mit hohem IDV

Angelsächsische Länder, Deutschland, Dänemark, Schweden.

Kennzeichen für einen niedrigen IDV

Große Sicherheit durch die Gruppe oder Organisationsmitgliedschaft, Loyalität gegenüber der Gruppe, starkes Zugehörigkeitsgefühl, Vorrang von Gruppeninteressen vor individuellen, große Bereitschaft der Mitwirkung zum Unternehmenswohl, Leistungen des Teams haben Priorität, Befolgung der Teaminteressen als Ziel.

Länder mit niedrigem IDV

Bangladesch, Kolumbien, Guatemala, westafrikanische Staaten.

Maskulinitätsindex (MAS)

Kulturen unterscheiden sich je nach Grad der Betonung von erwarteten Geschlechterrollen. Dieser hängt mit der Bewertung von Werten wie Durchsetzungsvermögen, Erfolg, Sicherung von Wohlstand, Sorge um andere, soziale Unterstützung oder Lebensqualität zusammen. Maskuline und feminine Gesellschaften priorisieren unterschiedliche Werte.

Kennzeichen für einen hohen MAS

Fortschritt und Ehrgeiz sind wichtiger als Toleranz und Einfühlungsvermögen, klare Vorstellungen und Erwartungen der Geschlechterrollen, Vorrang von Eigeninteresse vor den Interessen anderer.

Länder mit hohem MAS

China, arabische Länder, Deutschland, Österreich, Schweiz.

Kennzeichen für einen niedrigen MAS

Mitgefühl, Toleranz, soziale Ausrichtung und Empathie gegenüber Schwächeren, Gleichstellung von Frau und Mann, wenig geschlechtsspezifische Rollenverteilung, Einhaltung von Unternehmensregeln, Vorrang von Interessen anderer, geringere materialistische Orientierung, weniger Statusdenken, starke Beziehungsorientierung.

Länder mit niedrigem MAS

Skandinavische Länder, Frankreich, Spanien, Portugal.

Langzeitorientierungsindex (LZO)

Der LZO beschreibt die Zukunfts-, Gegenwarts- und Vergangenheitsorientierung einer Gesellschaft. In den einen Gesellschaften sind kurzfristiger Erfolg und schneller Gewinn wichtig. In den anderen Gesellschaften baut man auf langfristige Beziehungen und Lösungen, die lange Geltungsdauer haben.

Kennzeichen für einen hohen LZO

Zukunftsorientierung, Betonung von Fleiß, Ausdauer, Sparsamkeit und Schamgefühl, Befolgung „angemessenen“ Verhaltens sowie Befolgung von Regeln und Normen, Erfüllung von sozialen Erwartungen, Respekt und Loyalität gegenüber Teammitgliedern und Teamleitung, Erwartung von Schutz von Vorgesetzten.

Länder mit hohem LZO

Ostasiatische Länder wie China, Taiwan, Japan, Vietnam, Südkorea.

Kennzeichen für einen niedrigen LZO

Kurzzeitorientierung oder Gegenwarts- und Vergangenheitsorientierung, Betonung von Standhaftigkeit, Respekt, Tradition, Erfüllung sozialer Pflichten.

Länder mit niedrigem LZO

Westafrikanische Länder, Tschechien, Pakistan, Spanien.

Kulturdimensionen als Orientierung für Führungskräfte

Kulturdimensionen bilden Orientierungspunkte, die Führungskräften bei der richtigen Wahl der Führungsinstrumente helfen und für Unterschiede sensibilisieren können. Sie bleiben jedoch theoretische Konstrukte, die die komplexe Vielfalt nie ganz abbilden. Denn selbst innerhalb eines Landes lassen sich Kulturunterschiede finden.

Außerdem basieren die empirischen Ergebnisse auf Durchschnittswerten, sodass Hofstedes Ergebnisse und Einteilungen für ein einzelnes Teammitglied nicht zwangsläufig zutreffen. Kulturelles Verhalten ist also per se nicht prognostizierbar. Sie bilden nur einen Rahmen und sind eine Grundlage, um das Verhalten von einzelnen Teammitgliedern mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund zu verstehen.

Die Führungskraft muss gleichwohl das einzelne Individuum im Blick haben und auf die unterschiedlichen Erwartungen, Wünsche und Vorstellungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezüglich Führung und Zusammenarbeit eingehen und darauf aufbauend gemeinsame Spielregeln für die Zusammenarbeit erarbeiten. Diese können sich dann wiederum an den genannten Kulturdimensionen orientieren.

Praxis

Sich auf Führungssituationen im interkulturellen Team einstellen

Gehen Sie die einzelnen Kulturdimensionen durch und machen Sie sich damit vertraut, wie Ihre Teammitglieder bevorzugt arbeiten und miteinander umgehen. Überlegen Sie und machen Sie sich Notizen, welche der Kulturdimensionen in Ihrem Team sichtbar werden.

Beobachten Sie Verhalten, Meinungen und Fähigkeiten der Teammitglieder und beantworten Sie die folgenden Fragen:

Umgang mit Machtverhältnissen

  • Wie groß schätzen Sie die Machtdistanz in Ihrem aktuellen beruflichen Umfeld?
  • Woran machen Sie das fest?
  • Haben Sie in Ihrem (Berufs-) Leben Erfahrungen mit unterschiedlich großen Machtdistanzen gesammelt?
  • Was haben Sie beobachtet?
  • In welchem Umfeld von Machtdistanz arbeiten Sie selbst am besten?

Umgang mit Unsicherheiten und Risiken

  • Wie wichtig sind Zeitpläne, Pflichtenhefte und deren Einhaltung für Sie?
  • Lieben Sie es, Dinge zu „klären“ und „festzuschreiben“?
  • Oder präferieren Sie Offenheit?
  • Waren Sie einmal in einer Situation, in der alles anders lief als erwartet?
  • Wie haben Sie sich in dieser Situation gefühlt?

Individuelle Autonomie und Zugehörigkeit zu einer Gruppe

  • Mit welchen Glaubenssätzen sind Sie aufgewachsen: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ oder „Gemeinsam sind wir stark“?
  • Wem fühlen Sie sich näher: Gruppenmitglied oder Einzelkämpfer?
  • Welche Vorteile des „individualistischen“ und des „kollektivistischen“ Herangehens an Aufgaben und Herausforderungen fallen Ihnen ein?

Umgang mit erwarteten Geschlechterrollen

  • Welche Werte dominieren in Ihrem Umfeld: „Sein Licht nicht unter den Scheffel stellen“ oder „Bescheidenheit ist eine Zier“?
  • Welche unterschiedlichen Formen des Umgangs mit Konflikten haben Sie bisher erlebt?
  • Welche liegt Ihnen am ehesten?
  • Wie schwer haben es weibliche Führungskräfte in Ihrem Umfeld?
  • Wie hoch ist der Frauenanteil im Management?

Zukunfts-, Gegenwarts- und Vergangenheitsorientierung

  • Wie geduldig sind Sie: Lieben Sie es, Vorgaben „zügig“ umzusetzen oder lassen Sie Projekte eher „reifen“?
  • Wie wichtig ist Ihnen, dass Dinge auf die „richtige“ Weise erledigt werden?
  • Betrachten Sie sich als prinzipientreu?

Unterschiede analysieren und Spielregeln entwickeln

Reflektieren Sie die genannten Fragen im Hinblick auf Ihr Team:

  • Welche Eigenheiten, Charaktereigenschaften und Gewohnheiten prägen Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
  • Welche Normen und Werte herrschen in Ihrem Team vor?

Wenn Sie die unterschiedlichen Erwartungen, Wünsche und Vorstellungen Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezüglich Führung und Zusammenarbeit kennen, können Sie gemeinsame Spielregeln für die Zusammenarbeit finden. Erarbeiten Sie diese Aspekte mithilfe der folgenden Vorlagen.

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