E-Mail-ManagementWenn die elektronische Post zur Belastung wird
60 Milliarden E-Mails pro Tag an mehr als 500 Millionen Empfänger. Diese Zahlen sprechen für sich. Es sind geschätzte Werte von Computerfreaks im Netz inklusive aller privaten (rund 30 Prozent) und geschäftlichen E-Mails (70 Prozent). Dazu kommt eine kaum zu überblickende Anzahl an Spam-Mails im Schneeballsystem. Messen kann man das kaum.
Professor Michael Nippa von der TU Freiberg hat das zum Beispiel in einer Studie im Frühjahr 2009 untersucht. Das Ergebnis ist zwar nicht repräsentativ, aber interessant. Rund 30 geschäftliche E-Mails erhalten die Befragten pro Tag im Schnitt. Die Absender schreiben gut zwei Drittel davon an Empfänger im eigenen Unternehmen. Der Rest sind externe E-Mails an entferntere Geschäftspartner. Das bedeutet, dass E-Mail ein informelles Medium ist, das eher an nahe stehende Personen geschickt wird.
Was die Wichtigkeit des flotten Mediums E-Mail angeht: Nur 40 Prozent der erhaltenen Mails werden vom Empfänger als sehr wichtig eingestuft, 30 Prozent werden eher in Ablage „P“ verschoben, der Rest ist irgendwo wichtig, aber wenig relevant. Das bedeutet, dass eben auch viel Müll schnell drauf los verschickt wird. Durchschnittlich bearbeiten die Befragten ihre E-Mails jeden Tag in ein bis zwei Stunden. Manager bekommen und tippen noch mehr Post.
Versteckte Zeitfresser und Beschleuniger im Büro
Die digitale Welt schafft eine enorme Vernetzung geistigen Potenzials und führt zu signifikanten Ersparnissen an Zeit und Kosten. Eine der größten digitalen Errungenschaften ist die E-Mail: Ressourcen werden gebündelt, Arbeitsprozesse durch raschen Informationsaustausch beschleunigt und die Entscheidungswege verkürzt. Die Unternehmenskommunikation ist durch E-Mail revolutioniert worden.
Um jedoch die Vorteile der Online-Kommunikation im Unternehmen ausschöpfen zu können und nicht in einem digitalen „Information-Overkill“ unterzugehen, müssen im Umgang mit diesem elektronischen Kommunikationsmedium bestimmte Regeln und Aspekte beachtet werden. Denn es geht viel Zeit dabei verloren, wenn eine E-Mail nebenbei und in schlechtem Stil geschrieben oder beantwortet wird.
„Schicken Sie mir Ihren Entwurf bitte per E-Mail rüber“, so ist es sogar in kleinen Büros zu hören. Lange Zeit war E-Mail eine reine Bereicherung. Heute ist sie für die meisten Unternehmen die tragende Säule der gesamten Unternehmenskommunikation, erklärt E-Mail Berater Günter Weick von SofTrust Consulting. Für viele Unternehmen ist wettbewerbsentscheidend, wie effizient sie relevante Informationen erkennen, bearbeiten und kommunizieren können.
E-Mailen ist ein schnelles und lokal unabhängiges Kommunikationsmedium, das im Schriftverkehr überstürzt zu informeller Tonalität verführt, und in dem man einfach gerne drauf losschreibt. „Menschen können so schneller zueinander finden als bisher“, vermutet Weick. Gleichzeitig bekommen Mitarbeiter jedoch auch von flüchtig bekannten Geschäftspartnern, Kollegen und Kunden E-Mails als Kopie (Carbon-Copy), deren Information sie meist nicht brauchen. Immerhin kann man damit bequem vermitteln, was und wie viel das Ego produziert. Besonders aber auch, mit welch wichtigen Personen man kommuniziert: ein virtuelles Machtspiel per Mausklick. Dieser digitale Weiterleitungswahnsinn ist insbesondere bei der Weitergabe von vertraulichen Informationen mit Vorsicht zu genießen. Von daher gilt für die E-Mail-Kommunikation:
- Aussagekräftige Betreffzeilen
- kurze und knappe Formulierung bzw. Übermittlung der „Botschaft“ / Information
- gezielte Auswahl der Empfänger (keine wahllose Verwendung von „Cc“ bzw. „Bcc“)
- keine erschöpfenden digitalen Diskussionen
- mehr Telefonieren
Digitales Büro trifft auf analoges Hirn
Bitte auch dringend vermeiden: Terminabsprachen per E-Mail zu machen. Roman Soucek, Kommunikationsforscher an der Universität Erlangen-Nürnberg, rät: „Mitarbeiter sollen wieder mehr telefonieren.“ Am Telefon wird klar, worum es geht und was der Gesprächspartner will. Denn das synchrone Medium bietet etwas Unentbehrliches: Direktes Feedback.
Der angenehme Nebeneffekt direkter Kommunikation liegt auf der Hand. Die persönlichen Netzwerke werden durch zusätzlich transportierte Informationen gepflegt und dauerhaft ausgebaut. Ein bisschen Small Talk schadet niemand. Im Gegenteil: Sie profitieren davon. Insbesondere Abteilungen im Marketing, Vertrieb und Kundenservice werden aufgrund ihrer intensiven Kommunikationsdichte und Kundennähe von der visuellen Reizüberflutung spürbar belastet.
„Da war man eine Woche im Urlaub, und dann sind da über 250 Mails im Posteingang“, beschwert sich ein Servicemitarbeiter. Überflüssige Angebote und ungewollte Newsletter füllen die virtuellen Papierkörbe der Büros. Die Spam-Flut wird insbesondere für Unternehmen immer stärker zum Problem: Der Empfänger muss Unmengen von E-Mails selektieren, zumindest oberflächlich anlesen und inhaltlich interpretieren. Notwendige Rekonstruktion ist mühsam: Warum wurde die E-Mail verschickt? Was will der Absender überhaupt von mir?
E-Mail lässt sich optimal an die Bedürfnisse im Betrieb anpassen
Bei der Bewältigung der digitalen Informationsflut helfen analoge Soft Skills, die im Kopf beginnen: „Priorisierung ist Basis effizienter E-Mail-Kommunikation“, analysiert Julia Knorr, Diplom-Psychologin in München. Manager müssen sich konsequenter vom Posteingang abgrenzen, indem bestehende Projekte reibungslos miteinander komponiert werden. Es geht darum, einen Führungsstil zu entwickeln, der klar regelt, wann E-Mails angebracht sind und auf welche Weise sie bearbeitet werden. Von wahllosem Verfassen und Beantworten profitiert niemand.
Die Herausforderung: E-Mails bedürfen eines neuen Kommunikationsverhaltens, das sich von gewohnten analogen Medien durch spezifische Bezüge und klare Strukturen abgrenzt. „Unternehmen müssen eine Metakompetenz entwickeln, wann online und offline kommuniziert wird“, ist sich Kommunikationsforscher Soucek sicher. Vermittlung von Tatsachen per E-Mail ist in Ordnung, Informationen mit hohem Interpretationsbedarf sind dagegen tabu. Der fehlende Ton von einem persönlichen Gespräch - wichtige Nebeninformationen durch Mimik und Gestik inklusive - wird gerne durch provisorische Sonderzeichen ersetzt. Dabei werden Satzfragmente, Umgangssprache, lokale Dialekte und firmeninterne Slangs gepflegt. Originalität scheint demnach in vielen E-Mails wesentlich wichtiger zu sein als der rasch zugängliche Inhalt.
Wie kommt das analoge Hirn mit diesen digitalen Prozessen klar? „Ich muss mir mein E-Mail-Programm zu eigen machen“, rät Soucek. Also nicht von üppigen Spielereien wie Klingeltönen und Einblendungen verrückt machen lassen: Einfach abschalten. Der Großteil davon provoziert Überraschungsmomente, die spürbar von der Bearbeitung komplexer Aufgaben ablenken, die Arbeitsleistung deutlich mindern.
Dem Wichtigen Priorität schenken
E-Mailen ist Gegenstand des täglichen Zeitmanagements. Lieber zwei Stunden am Tag dafür reservieren, als im Minutentakt unterbrochen zu werden. Klare Abgrenzung von ablenkenden Einblendungen neuer Nachrichten muss sein. Modernes Multitasking ist lediglich ein charmanter Versuch, mit möglichst vielen Aufgaben gleichzeitig zu jonglieren. Das Ergebnis davon ist meist suboptimal.
„Die Kunst ist, so zu kommunizieren, dass man genau das bekommt, was man will“, fasst Diplom-Psychologin Knorr zusammen. Daher: Relevante Informationen prägnant darstellen, um ermüdende Interpretation zu vermeiden. Auf unpräzisen Zeichenwirrwarr sollte komplett verzichtet werden, damit der Empfänger klar weiß, worum es geht. Eine virtuelle Sozialkompetenz muss entwickelt werden. In der analogen Welt heißt das Teamarbeit. Der digitale Versand muss der analogen Arbeitsstruktur im Unternehmen angepasst werden.
Dies ist mit Kollegen gründlich zu vereinbaren. Es kann so aussehen: Die Sekretärin sortiert den Posteingang zwischen Chefsessel und Vorzimmer in definierte Ordner. Wichtige Informationen werden sofort von ihr zusammenfasst, je nach Priorität ausdruckt und mit entsprechender Notiz dem Chef auf den Tisch legt. Texte sind am Bildschirm anstrengender zu lesen, als auf einem übersichtlich gefassten DIN-A4-Dokument.
Jeder zweite fühlt sich belastet
Nach einer repräsentativen Umfrage von TNS Emnid im Auftrag von "Süddeutsche Zeitung Wissen" 10/2006 entwickelt sich die elektronische Post zunehmend zum Arbeitszeit-Killer. Neue E-Mails werden schnell gelesen, gab mehr als ein Viertel der Befragten an. Jedoch mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer fühlt sich von diesem wachsenden Informationsvolumen und dem Zeitdruck, sofort reagieren zu sollen, belastet. Dringend Eingänge werden sogar noch nach Feierabend bearbeitet - von zu Hause aus.
Priorisierung und Selbststrukturierung sind wichtiger als je zuvor. Laut Nathan Myhrvold, Ex-Technologie-Chef von Microsoft, ist E-Mail zur Jahrtausendwende sogar „die rüdeste Form der Kommunikation, die bislang erfunden worden ist“. Auch Manager müssen sich vom Glauben lösen, dass eine digitale Anfrage mit verschickter E-Mail vorerst vom Tisch ist. Denn wenn ich davon ausgehe, dass der Angefragte nach meinem Versand kurzfristig antwortet, frage ich mich nach einer Woche immer noch, warum er das noch nicht getan hat. Ohne zu wissen, dass er lediglich im Urlaub war. Daher der Grundsatz: Bei E-Mail nicht drängeln und Geduld haben. Dringendes per Telefon abklären, um Pannen zu vermeiden.
Beim Verfassen von E-Mails die Netiquette einhalten
Die sogenannte „Netiquette“ bietet eine grundlegende Empfehlung: Vergessen Sie niemals, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt! Das bedeutet für die erfolgreiche Übermittlung von Nachrichten: Tonfall und Inhalt gegenüber dem adressierten Publikum angemessen wählen, um möglichst viele Leser in der ursprünglich analogen Form zu erreichen. E-Mail Berater Weick erwidert: „Die aktuelle E-Mail-Kultur ist zum überwiegenden Teil Ergebnis einer Evolution, nicht das einer bewussten Gestaltung.“
Ein beliebiger Umgang mit elektronischer Post wirkt sich schnell in Frustration, Missverständnis und abnehmender Produktivität aus. Durchdachte Praxis wiederum wird mit guten Informationen, schnellen Organisationsabläufen und einem angenehmen Arbeitsklima ausgezeichnet. Erfolgreiche Unternehmer haben die Herausforderung von Online-Kommunikation erkannt und E-Mail-Kulturen gemeinsam mit ihren Mitarbeitern abgestimmt. Der Kommunikationsforscher Soucek empfiehlt: „Unternehmen müssen fest definierte Richtlinien entwerfen, die am konkreten Projekt orientiert sind."
In amerikanischen Unternehmen werden „Policys“ entwickelt, während in Deutschland noch allgemein über lähmende technische Details gesprochen wird. Unzählige Ratgeber überfluten Unternehmen mit unspezifischen Regeln und Erfolg versprechenden Zehn-Punkte-Plänen, welche in der Praxis meist nichts bringen. Um die Grundlage für effiziente E-Mail-Kommunikation zu schaffen, sollten unter anderem folgende Fragen gemeinsam mit den Mitarbeitern erörtert und geklärt werden:
- Wie viel Zeit braucht der Kommunikationspartner, um auf meine Nachrichten zu antworten?
- Wie verpacke ich meine Informationen am Besten, damit der Adressat möglichst schnell versteht, worum es mir geht?
- Welche Medienkanäle im Sinne einer einheitlichen E-Mail-Kultur passen zu meiner konkreten Situation?
- Wurde bisherige Korrespondenz auf die Frage zusammengefasst, welche das grundlegende Anliegen klar macht?
- Spreche ich die Sprache meines Empfängers, habe ich den richtigen Ton gewählt?