AchtsamkeitSich selbst und andere achtsam führen
„Was soll denn das? Ich habe andere Probleme.“
Dies ist oft die erste Reaktion von Führungskräften und Leistungsträgern in Unternehmen, wenn sie sich zum Beispiel in einem Seminar auf eine Achtsamkeit-Übung einlassen sollen. Dann tun sie dies oft eher widerwillig.
Doch lassen sie sich hierauf ein, empfinden sie die Übungen anschließend in der Regel als bereichernd und wertvoll.
„Was bringt mir dieser Psycho-Kram?“
Achtsamkeit ist eine inzwischen gut erforschte, wirksame Praxis
- zur Stressbewältigung und -vermeidung,
- zum Erlangen und Bewahren innerer Klarheit und
- zur Emotionsregulierung.
Sie ist deshalb ein essenzielles Werkzeug für eine moderne, zukunftsweisende Selbst- und Mitarbeiterführung.
Denn in unserer zunehmend komplexen und von rascher Veränderung geprägten Welt sind die Menschen – beruflich und privat – mit vielen, oft neuen Anforderungen konfrontiert. Entsprechend lang ist ihre (innere) To-do-Liste und nicht selten erscheint ihnen diese als kaum bewältigbar.
Sie sind gestresst und fragen sich häufig:
- Habe ich dieses oder jenes richtig getan?
- Habe ich etwas vergessen oder übersehen? Und:
- Sollte ich die Prioritäten vielleicht anders setzen?
Entsprechend viele Gedanken gehen ihnen zeitgleich durch den Kopf. Sie springen gedanklich zwischen den unterschiedlichsten Themen hin und her.
Und nicht selten sind diese Gedanken – zumindest unbewusst – von eher negativen Emotionen begleitet.
Bei diesem „Mind Wandering“ sind die betreffenden Personen gedanklich nicht voll im „Hier und Jetzt“. Deshalb nehmen sie auch die aktuelle Situation, die Konstellation oder ihr jeweiliges Gegenüber – zum Beispiel beim Kommunizieren – nur eingeschränkt wahr.
Dabei sind ihnen die Stresssymptome und die damit verbundenen negativen Emotionen oft nicht bewusst. Deshalb reagieren sie auf die Ist-Situation häufig aus einem „Autopiloten“ heraus.
Sie zeigen also reflexartig ein antrainiertes Verhalten, ohne vorab zu reflektieren: Ist dieses dem „Hier und Jetzt“ angemessen?
Mangelnde Achtsamkeit hat negative Konsequenzen
Ein solches Re-agieren hat im Berufs- und Lebensalltag oft negative Konsequenzen. Es reduziert zum Beispiel die Qualität der Entscheidungen.
Im Autopilot-Modus nehmen Menschen zudem die erfreulichen Ereignisse und Momente in ihrem Alltag kaum noch wahr. Das mindert ihre Arbeitszufriedenheit und ihr Lebensglück. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen leiden hierunter, da häufiger Missverständnisse und Konflikte entstehen.
Was Achtsamkeit leisten kann
Achtsamkeit hilft uns,
- solche Automatismen und negative Entwicklungen zu vermeiden,
- dem realen oder empfundenen Druck entgegenzuwirken und auch
- in stressigen und herausfordernden Situationen die innere Klarheit sowie emotionale Ruhe zu bewahren.
Dieses Ziel können Führungskräfte oder andere beruflich stark engagierte Personen erreichen, indem sie, gerade wenn es stressig wird, statt in eine innere Hektik zu verfallen, bewusst Pausen einlegen. Sie sollten dann
- die Ist-Situation und ihr eigenes Befinden wahrnehmen und reflektieren und
- sich fokussieren und dann selbst-, situations-, zielbewusst agieren.
Achtsamkeit heißt, das „Hier und Jetzt“ bewusst wahrzunehmen.
Dem Medizin-Professor Jon Kabat-Zinn, einem der Achtsamkeit-Pioniere, zufolge ist Achtsamkeit „ein nicht-wertendes Gewahrsein des gegenwärtigen Moments“. Es geht darum,
- das „Hier und Jetzt“ bewusst und ohne Wertung zu erleben und
- das, was gerade geschieht, mit allen Sinnen bewusst wahrzunehmen: sehend, hörend, spürend, riechend und schmeckend.
Dies ermöglicht ein tieferes und klareres Erleben des Hier und Jetzt und befähigt uns,
- den Autopiloten zu stoppen,
- reflektierend innezuhalten und
- situationsangemessen zu handeln.
Das setzt zum Beispiel bei Führungskräften die Fähigkeit voraus, die eigenen Gedanken, Emotionen und körperlichen Empfindungen bewusst zu erkennen und zu regulieren. Dieses bewusste Erleben stärkt wiederum die Selbstwahrnehmung und führt zu klareren, fundierteren Entscheidungen. Dasselbe gilt für die Mitarbeitenden.
Nutzen einer Achtsamkeits-Praxis für Führungskräfte und ihre Teams
Erhöhung der Selbstwahrnehmung und -akzeptanz:
Wir lernen, Körper, Gefühle, Gedanken und Handlungen bewusst und wertfrei wahrzunehmen, wodurch wir schneller erkennen, was in uns geschieht, und zügiger vom Autopiloten zu einem reflektierten Handeln wechseln.
Reduktion von Stress und Stärkung der Resilienz:
Achtsamkeit aktiviert das parasympathische Nervensystem, das für Ruhe und Erholung sorgt. Stresshormone wie Cortisol sinken, der Körper entspannt sich. Wir denken flexibler und lösungsorientierter.
Verbesserte Aufmerksamkeit und Konzentration:
Bereits kurze Trainingseinheiten verbessern die Aufmerksamkeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit.
Emotionale Regulation:
Wir erkennen und akzeptieren unsere Emotionen wertungsfrei. Das fördert eine gesündere emotionale Verarbeitung, reduziert Stress und negative Emotionen.
Verbesserte Teamarbeit:
Achtsamkeit kann zu verbesserten Beziehungen, höherer Zufriedenheit und geringerer emotionaler Erschöpfung führen.
Verbesserung der körperlichen Gesundheit:
Achtsamkeit reduziert den körperlichen Stress, fördert die Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems und das allgemeine Wohlbefinden.
Stärkere Beziehungen durch emotionale Intelligenz:
Achtsamkeit befähigt Führungskräfte, empathisch auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden einzugehen, stärkt das Vertrauen und die Zusammenarbeit, und verbessert die Arbeitsatmosphäre, Zufriedenheit und Produktivität.
Bessere Entscheidungsfindung:
Eine bessere Selbstwahrnehmung und emotionale Regulation fördern fundierte, unvoreingenommene Entscheidungen.
Ein Praxisbeispiel für einen Mangel an Achtsamkeit
Hierfür ein Praxisbeispiel: Maria, eine Teamleiterin im Vertrieb, wurde am Morgen von ihrer Führungskraft gefragt, warum die vorgegebenen Quartalszahlen noch nicht erreicht seien und was sie diesbezüglich zu tun gedenke.
Maria war zuvor schon bewusst, dass ihr Team dem Plan hinterherhinkt. Die als „Ansage“ erlebte Rückfrage ihrer Führungskraft erhöht deshalb den Druck und Stress, den Maria empfindet; dies nimmt sie aber nicht bewusst wahr.
Darum schnauzt sie am Nachmittag ihre Mitarbeitenden in einer Teamsitzung, als diese gut gelaunt ein paar Scherze machen, an, dass dies ja wohl keine ernsthafte Arbeitshaltung sei und nicht so weitergehen könne.
Alle Anwesenden sind plötzlich still und schauen betreten vor sich auf den Tisch. Im weiteren Verlauf der Besprechung beteiligen sich die Mitarbeitenden kaum noch und es werden keine kreativen Ideen mehr entwickelt.
Maria fühlt sich allein gelassen und das stresst sie noch mehr.
Was genau ist hier geschehen?
Maria war nicht achtsam mit sich und ihrem Team. Sie schob das Thema „Umsatzzahlen“ so lange vor sich her, bis ihr Chef das Thema ansprach.
Dadurch erhöhte sich ihr bereits vorhandenes Stressempfinden weiter – und zwar ohne, dass sie dies wahrnahm. Deshalb wirkte sie destruktiv auf ihre Mitarbeitenden ein und verdarb deren gute Laune; sie zerstörte also deren positiven emotionalen Gefühlszustand.
Wie wäre die Situation verlaufen, wenn Maria achtsamer für ihre Körperreaktionen und Gedankengänge sowie das Befinden ihres Teams gewesen wäre? Sie hätte frühzeitig gespürt, dass die Quartalszahlen bei ihr Stress auslösen.
Deshalb hätte sie zunächst tief durchatmen und die Situation bewusst aus verschiedenen Perspektiven reflektieren können, um dann ein zielführenderes Vorgehen zu wählen. Sie hätte zum Beispiel ihrem Team die Ist-Situation offen mitteilen und deren gute Laune dafür nutzen können, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Anschließend hätte sie, falls nötig, proaktiv auf ihre Führungskraft zugehen und sie über die geplanten Maßnahmen zum Verbessern der Quartalszahlen informieren können.
So wäre sie jederzeit handlungsfähig gewesen und „Herrin“ der Situation geblieben. Doch leider fehlten ihr offensichtlich die erforderlichen „Skills“, um sich selbst und ihre Mitarbeitenden achtsam zu führen.
Die fünf zentralen Aspekte der Achtsamkeit
Folgende fünf Aspekte sind von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, die Achtsamkeit einer Person für sich selbst und die jeweilige Situation zu erhöhen:
- Bewusste Aufmerksamkeitslenkung: Dies bedeutet, statt die Gedanken umherschweifen zu lassen, diese bewusst, dahin zu lenken, wohin wir es wollen: auf die Ist-Situation, unsere Atmung, unseren Körper usw.
- Gegenwärtigkeit: Dieser Begriff beschreibt das bewusste Wahrnehmen des aktuellen Moments, statt mit den Gedanken (teilweise) woanders zu sein.
- Akzeptanz: Dies bedeutet, Gedanken und Gefühle – zunächst einmal – ohne Urteil wahrzunehmen und zu akzeptieren, anstatt sie zu verdrängen oder zu bekämpfen.
- Inneres Beobachten: Dies beinhaltet alle unsere Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen zu beobachten, ohne sie zu bewerten; also zum Beispiel, wenn wir ein Abschweifen bei uns registrieren, uns nicht selbst innerlich zu kritisieren, sondern sich zu sagen: „Ach interessant, ich schweife ab.“
- (Selbst-)Mitgefühl für mich und andere: Das heißt, die Gefühle und Bedürfnisse von mir selbst und anderen zu erkennen und ihnen mit Verständnis, Unterstützung und Freundlichkeit zu begegnen.
Wenn wir hierzu in der Lage sind, minimiert sich die Gefahr, dass wir uns von Gedanken und Gefühlen hinreißen lassen, auf Autopilot schalten und reflexartig in einer Art und Weise reagieren, die der Situation oder Konstellation nicht angemessen ist. Vielmehr können wir, da unsere Aufmerksamkeit voll auf den Moment gerichtet ist, unser Handeln (ziel-)bewusst steuern.
Die Achtsamkeit bei sich selbst und im Team trainieren
Die Fähigkeit hierzu lässt sich trainieren – zum Beispiel, mit einem Trainingsprogramm. Sie können aber auch ohne externe Unterstützung erste Schritte in die angestrebte Richtung gehen. Wenn Sie zum Beispiel bei Google die Suchbegriffe „Übungen Achtsamkeit“ eingeben, finden Sie zahlreiche Übungen, mit denen Sie Ihre Achtsamkeit erhöhen können.
Anders verhält es sich, wenn Sie in Ihrer Organisation oder Ihrem Bereich eine Kultur fördern möchten, in der Achtsamkeit ein zentrales Element der Zusammenarbeit ist. Dann sollten Sie einen „Guide“ engagieren, der Sie und Ihr Team auf diesem Weg begleitet.


