PersonalauswahlWelcher Bewerber passt charakterlich ins Team?

Welcher Bewerber passt am besten zu Ihrem Team? Woran merken Sie, ob die sprichwörtliche „Chemie“ stimmt? Und wie lässt sich der Auswahlprozess so gestalten, dass nicht nur fachliches Wissen, sondern auch die Persönlichkeit ergründet wird? Lernen Sie außerdem Tests und Methoden zum Einschätzen des Charakters kennen.

Warum ist Teamfähigkeit und die „Chemie“ zwischen Kollegen wichtig?

Ein Unternehmen benötigt mehr Personal, weil es viele Neukundinnen und Neukunden angenommen hat. Der Unternehmenserfolg kommt nach Meinung aller Teammitglieder vorwiegend daher, dass sie perfekt zusammenarbeiten. Sie stimmen sich intensiv untereinander ab und geben alle relevanten Informationen an die Kollegen weiter.

Ihre Arbeitsstile sind bekannt und jeder akzeptiert und schätzt die Arbeit des anderen. Und auch auf der persönlichen Ebene schätzen und respektieren sich alle. Man weiß, wie der Kollege tickt und hat erkannt, dass dies zum eigenen Charakter und zum eigenen Arbeitsstil passt.

Doch jetzt sollen zwei neue Mitarbeitende kommen. Auf die Stellenausschreibung der Personalabteilung, an der der Teamleiter mitwirken konnte, haben sich einige Kandidaten beworben. Sie alle wollen „teamfähig“ sein. Doch was bedeutet das konkret?

Warum Sie gemischte Teams zusammenstellen sollten

Die meisten Menschen verstehen sich mit solchen Kollegen am besten, die gleich „ticken“. Das bedeutet, sie verfolgen ähnliche Werte und Ziele, sie verhalten sich entsprechend und haben den gleichen Arbeitsstil.

Viele Teamentwickler und Organisationsforscher halten das aus Sicht der Teamleistung aber nicht für optimal. Sie plädieren dafür, dass sich in Teams viele unterschiedliche Charaktere finden. Sie bringen ihre jeweiligen Stärken ein und kompensieren die Schwächen der anderen. Die Teamleistung soll dadurch besser sein.

Doch im Alltag kann das zu Problemen führen. Da seufzt „der Kreative“ in der Teambesprechung hörbar, wenn sein Teamkollege, „der Zahlenmensch“, wissen will, was der Verbesserungsvorschlag denn in Zukunft an Leistungsverbesserungen in Euro pro Quartal und aufgeschlüsselt nach Produkten bringen wird.

Da stöhnt „der Macher“, wenn „der Kommunikative“ erst noch einmal einen Workshop einberufen will, damit alle ihre Meinung sagen können und ein tragfähiger Konsens gefunden wird. So sind Konflikte vorprogrammiert und im schlimmsten Fall bringt sich keiner mehr ein.

Mit Persönlichkeitstests den Charakter von Bewerbern ergründen

Bevor Sie eine Bewerberin oder einen Bewerber auswählen, fragen Sie sich typischerweise:

  • Wie gut passt eine Person ins Team?
  • Wo bestehen Lücken und wo kann es Reibungen geben?
  • Wie lassen sich bestimmte Verhaltensweisen von Kollegen besser deuten?
  • Wie geht man mit Menschen im Team um, die anders ticken als man selbst?

Um solche Fragen zu beantworten, dafür nutzen manche Personalmanager und Teamentwickler sogenannte Persönlichkeitstests, die in den letzten Jahrzehnten entwickelt und auf den Markt gebracht wurden.

Bekannte Persönlichkeitstests sind:

  • Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI)
  • DISG-Persönlichkeits-Profil
  • INSIGHTS Management Development-Instruments (INSIGHTS MDI)
  • Hermann-Dominanz-Instrument (H.D.I.)
  • NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI)
  • Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP)

Viele dieser Tests sind in der Fachwelt umstritten. Sie unterscheiden sich stark in Bezug auf ihre wissenschaftliche Fundierung oder ihre Tauglichkeit für das Berufsleben oder für Einstellungsverfahren. Wer solche Tests einsetzt, sollte also immer sehr kritisch prüfen, ob der Test für seine Fragestellung wirklich geeignet ist.

Modell der neurobiologisch-psychologischen Forschung

Also doch auf das Bauchgefühl verlassen? Die Intuition und die daraus abgeleiteten Entscheidungen müssen gar nicht so schlecht sein. Der Mensch hat schließlich von Natur aus eine Begabung, andere einzuschätzen, ihre Absichten zu ergründen, ihr Verhalten zu interpretieren.

Gleichwohl ist die Herausbildung eines Charakters ein sehr komplexer Vorgang, den sich natürlich auch die Neurobiologen und Entwicklungspsychologen genauer angeschaut haben – wie Gerhard Roth, der in seinem Buch „Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten: Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern“ einige Erklärungen liefert.

Diese Ebenen prägen den Charakter

Er unterscheidet in einem Modell vier wichtige Stufen beziehungsweise Ebenen, die uns alle prägen:

Temperament

Ausdauer, Geduld, Selbstvertrauen, Kreativität und Offenheit gegenüber Neuem, Vertrauen, Misstrauen, Pünktlichkeit, Ordnungsliebe, Zuverlässigkeit und Intelligenz sind angeboren und liegen schon vor der Geburt in großen Teilen fest. Diese Merkmale sind durch Erfahrung und Erziehung nur schwer zu beeinflussen.

Emotionale Prägung

In den frühen Jahren der Kindheit lernen wir, was gut und lustvoll einerseits und schlecht und schmerzhaft andererseits ist. So wird festgelegt, wie wir mit Stress, Furcht, Erfolg, Unsicherheit und Risiken umgehen. Es bilden sich Leistungsmotivation und Ehrgeiz aus sowie die Abhängigkeit von Lob und Anerkennung.

Bewusstes soziales Verhalten

Durch soziale Erfahrungen in der späten Kindheit und in der Jugend entwickeln sich Moral und Ethik, Empathie, Mitleid, Hilfs- und Kommunikationsbereitschaft. Es zeigt sich, welche Bedeutung das Streben nach Erfolg, Anerkennung, Ruhm, Macht, Liebe und soziale Nähe haben.

Sprachliche Kommunikation

Zuletzt entwickeln wir ein Bild dessen, wer oder was man sein will und wie man gegenüber anderen erscheinen möchte. Wir lernen Selbstdarstellung und Diplomatie, aber auch Verstellung und Selbstbetrug, um voranzukommen.

Unser Fühlen, Denken und Handeln wird von allen Ebenen beeinflusst, aber in sehr unterschiedlicher Weise. Temperament und emotionale Prägung beeinflussen uns stark und sind im Erwachsenenalter gar nicht oder nur schwer veränderbar.

Bewusstes soziales Verhalten und sprachliche Kommunikation lassen sich zwar verändern, steuern aber unser Fühlen, Denken und Handeln nur insoweit, wie es die beiden ersten Ebenen zulassen. Sie lassen sich aneignen und trainieren und geben oft eine nützliche Fassade ab. Doch fallen sie gerade in Stresssituationen auch schnell ab, sodass das „wahre Ich“ (Ebene 1 und 2) zum Vorschein kommt.

Warum Sie Bewerber unter Druck setzen sollten

Nicht zuletzt deshalb kann es in Bewerbergesprächen sinnvoll sein, eine Bewerberin oder einen Bewerber unter Druck zu setzen. Er oder sie soll in eine Stresssituation geraten, damit das Temperament und die emotionale Prägung zum Vorschein kommen. Diplomatie, Verstellung und Schauspielerei haben sich Bewerberprofis durch einschlägige Ratgeber oder gar Seminare antrainiert.

Deshalb erscheinen solche Kandidaten, bei denen ihr eigentliches Ich im Gespräch überhaupt nicht zum Vorschein kommt, auch so „aalglatt“. Die zukünftigen Kollegen vermissen „den Menschen“ hinter der Fassade, die sich der Bewerber bewusst für das Gespräch zurechtgelegt hat und die er nun herunterspult. Weil zu wenig Persönliches zum Vorschein kommt, bleiben viele skeptisch – allerdings lassen sich manche auch von einer guten Show beeindrucken und wählen dann diesen Kandidaten für die freie Stelle aus.

Bewerber werden an der Teamkultur gemessen

Jedes Unternehmen hat eine Kultur beziehungsweise ein Betriebsklima. Und in vergleichbarer Weise haben auch jede Abteilung und jedes Team eine „Mikro-Kultur“ oder Teamkultur. Der renommierte Experte für Organisationskulturen, Edgar H. Schein, hat diese in seinem Buch „Organisationskultur“ beschrieben:

„Organisationskultur ist das Muster von Grundannahmen, die eine Gruppe erfunden, entdeckt oder entwickelt hat ... und die sich so weit bewährt haben, dass sie als gültig betrachtet werden. ... Sie werden neuen Mitgliedern als die richtige Haltung gelehrt, mit der sie ... wahrnehmen, denken und fühlen sollen.“

Edgar Schein macht damit klar, wozu eine Organisationskultur auch da ist: Sie soll neue Mitglieder selektieren helfen. Das umfasst zwei unterschiedliche Perspektiven:

  1. Sie soll dem bestehenden Team helfen, die Frage zu beantworten: „Passt der Neue in unser Team?“
  2. Sie soll dem Bewerber helfen bei seiner Frage: „Will ich in diesem Team arbeiten?“

Was das in der Praxis bedeutet, weiß jeder, der sich schon einmal bei einem oder mehreren Unternehmen beworben hat. Meistens gewinnt man sehr schnell einen Eindruck, was die jeweilige Kultur ausmacht. Die dunklen Anzüge, das gepflegte und distanzierte Auftreten der Mitarbeiter gegenüber dem Bewerber. Und die Alternative dazu: eine „Duz-Kultur“. Der eine Bewerber fühlt sich eher im formalen Rahmen wohl, der andere mag die lockere Art.

Neue Mitarbeitende müssen auch zur Unternehmenskultur passen

Terrence Deal und Allen Kennedy haben in ihrem Buch „Corporate Cultures – the rites and rituals of corporate life” vier Organisationstypologien unterschieden. Die zwei Merkmale der Unterscheidung sind:

  • Risiko: In welcher Form sind die Organisation und ihre Mitglieder bereit, Risiken einzugehen?
  • Feedback: Wie schnell erhalten die Mitglieder einer Organisation eine Rückmeldung, ob ihr Verhalten und ihre Handlungen richtig oder falsch sind?

Mit diesen beiden Merkmalen lässt sich eine Matrix mit vier Feldern und vier Organisationstypologien aufspannen:

© www.business-wissen.de
Typologie von Unternehmenskulturen
Quelle: Terrence Deal und Allen Kennedy „Corporate Cultures – the rites and rituals of corporate life” (1982)

Typologie von Unternehmenskulturen: Passen Persönlichkeit und Charakter des Bewerbers zu uns?

Andere Autoren sind dem Phänomen der Organisationskultur ebenfalls nachgegangen. Sie haben vergleichbare Typen entdeckt. Zum Beispiel unterscheiden:

  • Charles Handy das Führungsprinzip, die Arbeitsweise und das Motivationsprinzip
  • Christian Scholz und Wolfgang Hofbauer die Zeitperspektive, die Ausrichtung und die Risikoeinstellung
  • Geert Hofstede den Machtabstand, die Unsicherheitsvermeidung, die Individualisierung und die Maskulinität
  • Manfred Kets de Vries und Danny Miller die „Pathologie“ von Organisationskulturen mit Führungskräfte-Phantasien und neurotischen Mustern

Vergleicht man unterschiedliche Modelle zur Beschreibung von Organisationskulturen, lassen sich folgende Merkmale identifizieren:

  • prozessorientiert versus ergebnisorientiert
  • aufgabenorientiert versus mitarbeiterorientiert
  • professionell versus beschränkt
  • offen versus geschlossen
  • stark kontrolliert versus locker kontrolliert
  • pragmatisch versus normativ

Mithilfe solcher Merkmale und Kategorien lassen sich Organisationskulturen beschreiben und charakterisieren. Im Bewerbungsprozess gleichen die Teammitglieder und die Bewerber diese Kategorien so gut es geht miteinander ab:

Mitarbeitende und Führungskräfte fragen:

„Passen die Persönlichkeit und der Charakter, das Temperament und die emotionale Prägung des Bewerbers zur bestehenden Teamkultur?“

Bewerber und neue Kollegen fragen:

„Entspricht diese Teamkultur meinen Vorstellungen und Werten und meinem Selbstverständnis?“

Teams werden nicht reproduziert, sondern ergänzt

Teams reproduzieren sich, ihre Kulturen und Arbeitsstile immer wieder selbst, weil nur die dazu passenden Bewerber ausgewählt werden und – zumindest langfristig – bleiben. Das widerspricht der Forderung vieler Teamentwickler, die in Teams mit unterschiedlichen Persönlichkeitstypen und ihren jeweiligen Stärken und Schwächen mehr Leistungspotenziale vermuten.

Deshalb dürfte es für den Erfolg eines Teams auch entscheidend sein, welches Spektrum an unterschiedlichen Mitarbeitertypen es toleriert. Wie flexibel die Teamkultur auf andere Arbeitsstile reagiert. Wie schnell es dem Team gelingt, ungeschriebene Regeln und offen formulierte Normen anzupassen, sodass alle miteinander auskommen, Abläufe funktionieren und Konflikte, die auch produktiv sein können, nicht eskalieren und zur Lähmung der gesamten Teamarbeit führen.

Diese Teamkompetenz zeigt sich in besonderer Weise in einem Bewerbungsgespräch, wenn der Teamleiter und einige der Kollegen mit einem Bewerber persönlich sprechen. Sie sollten vor der Entscheidung über die Einstellung die Gelegenheit haben, sich zu beschnuppern – und sie sollten keine schnellen Vorurteile bilden, sondern eine gewisse Toleranz für und Neugierde auf den Neuen beweisen.

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