PersonalbeschaffungKI als Werkzeug bei der Personalauswahl

Wie die Künstliche Intelligenz (KI) bei der Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern unterstützen kann – und warum Entscheidungen am Ende immer durch die HR-Verantwortlichen selbst getroffen werden müssen. Erfahren Sie in diesem Beitrag mehr zum Stand der Technik, den Vorteilen der KI und zu ihren Risiken.

Die Auswahl des passenden Personals zählt zu den zentralen Herausforderungen moderner HR-Arbeit. Im Zeitalter digitaler Transformation setzen viele Unternehmen auf Künstliche Intelligenz (KI), um Prozesse effizienter, skalierbarer und vermeintlich objektiver zu gestalten – auch im Bereich der Eignungsdiagnostik.

Doch wie viel Verantwortung darf oder sollte man der Maschine überlassen? Und wo bleibt der Mensch in diesem Prozess?

Eignungsdiagnostik für die Personalauswahl

Die systematische Eignungsdiagnostik ist das Rückgrat valider, nachvollziehbarer und fairer Personalauswahl. Sie zielt darauf ab, die Übereinstimmung zwischen den Anforderungen einer Stelle und den individuellen Eigenschaften eines Bewerbenden möglichst objektiv zu ermitteln. Methoden dafür sind:

  • strukturierte Tests
  • Interviews
  • Fragebögen
  • Simulationen

Grundlage sind wissenschaftlich fundierte Methoden aus der Psychologie, die zuverlässig berufliche Leistung prognostizieren können.

Risiken in der Praxis: Bauchgefühl und Interviewroutine

Doch in der Unternehmenspraxis wird diese Bedeutung häufig unterschätzt. Viele Recruiter und Führungskräfte verlassen sich allein auf Interviewerfahrung, das sogenannte „Bauchgefühl“ oder vergangene Erfolge von zu besetzenden Vakanzen.

Das wirkt auf den ersten Blick pragmatisch – birgt jedoch ein hohes Risiko.

Subjektive Einschätzungen können durch Sympathieeffekte, Stereotype oder emotionale Tagesform verzerrt sein. Studien zeigen, dass beispielsweise unstrukturierte Interviews eine deutlich geringere Prognosekraft für beruflichen Erfolg besitzen als strukturierte, eignungsdiagnostisch fundierte Verfahren.

Gerade in Zeiten des War for Talents, Remote Work und steigender Diversität ist es entscheidend, sich auf valide Verfahren zu stützen – um Fehlbesetzungen zu vermeiden, heterogene Teams zu fördern und langfristige Mitarbeiterbindung zu sichern.

KI in der Eignungsdiagnostik – Status quo und Potenziale

KI-gestützte Tools in der Personalauswahl sind längst keine Zukunftsmusik mehr. Sie sind in der Lage,

  • Bewerbungsunterlagen zu analysieren,
  • Sprachmuster in Videointerviews zu bewerten oder
  • Persönlichkeitstests zu interpretieren.

Der Einsatz reicht damit von einfachen Matching-Algorithmen in Bewerbermanagementsystemen bis zu komplexen Machine-Learning-Anwendungen, die Verhalten prognostizieren sollen.

Ein Beispiel hierfür ist HireVue, ein System, das mithilfe von Videoanalysen Mimik, Gestik, Wortwahl und Intonation von Bewerbenden interpretiert, um auf deren Eignung zu schließen. Ähnlich arbeitet Precire, das Sprachmuster analysiert und auf psychologische Merkmale schließt – mittlerweile allerdings in der Kritik und deutlich weniger verbreitet.

Doch wie funktioniert das genau?

KI-basierte Systeme nutzen Natural Language Processing (NLP), Machine Learning (ML) und Deep Learning, um große Mengen an Bewerbungsdaten (Texte, Sprache, Verhaltensmuster) zu analysieren.

  • Beispielsweise werden bei Videointerviews Sprachtempo, Wortwahl, Satzstruktur oder sogar nonverbale Merkmale wie Mimik oder Gestik (je nach System) erfasst.
  • In Persönlichkeitstests analysiert die KI Antwortmuster und vergleicht sie mit validierten psychologischen Modellen wie dem Big Five.

Wann und wozu wird KI im Auswahlverfahren eingesetzt?

KI-gestützte Systeme kommen vor allem in der frühen bis mittleren Phase des Auswahlprozesses zum Einsatz. Dazu zählen zum Beispiel:

  • die automatisierte Analyse von Lebensläufen, Motivationsschreiben oder Online-Fragebögen (Screening),
  • aber auch die Bewertung strukturierter Videointerviews oder automatisierte Persönlichkeitstests in der mittleren Phase des Auswahlverfahrens.

Besonders bei hohem Bewerbungsvolumen, wie in Konzernen oder Traineeprogrammen, kann KI eine skalierbare Vorauswahl ermöglichen und so HR-Teams entlasten.

Die Auswertungen solcher Systeme erfolgen meist in Form numerischer Scores, wie zum Beispiel einer Passungswahrscheinlichkeit, eines Matching-Scores zum Anforderungsprofil oder von psychometrischen Auswertungen.

Wichtig ist hierbei, dass diese Ergebnisse Entscheidungsgrundlagen sind, nicht aber Ersatz für eine eigene Entscheidung. Rechtlich wie ethisch problematisch wäre hier ein automatisierter Ausschluss von Bewerberinnen und Bewerbern.

Neue Entwicklungen: Adaptive Diagnostik, Explainable AI & Fairness by Design

Aktuelle Trends zeigen, dass auch innerhalb der KI-Entwicklung der Fokus zunehmend auf Transparenz und Fairness liegt:

  • Explainable AI (XAI) verfolgt das Ziel, KI-Entscheidungen nachvollziehbar zu machen – etwa durch grafische Aufschlüsselungen, welche Faktoren zur Bewertung führten. Dies ist insbesondere im Personalwesen wichtig, um rechtlich und ethisch abgesichert zu agieren.
  • Fairness by Design beschreibt Ansätze, bei denen Trainingsdaten aktiv auf Diversität und Ausgewogenheit geprüft werden. Unternehmen wie Modern Hire oder Pymetrics werben damit, ihre Tools auf Gender- und Ethnienneutralität geprüft zu haben.
  • Adaptive Eignungsdiagnostik verbindet klassische psychometrische Verfahren mit KI, um Testverfahren situativ anzupassen – etwa durch dynamische Schwierigkeitsgrade oder kontextabhängige Fragegenerierung. Dies erhöht die Individualisierung, reduziert Testlängen und steigert die Validität – wenn korrekt umgesetzt.

Die Prognosekraft und damit auch die Zuverlässigkeit hängen stark von der Qualität der Trainingsdaten, der Validierung des Modells und der Transparenz der Algorithmen ab. Gut trainierte Modelle erreichen Validitätswerte von 0.50 bis 0.60, was mit strukturierten Interviews vergleichbar ist.

Dennoch sind Verzerrungen durch zum Beispiel Geschlecht, Sprachstil oder kulturelle Merkmale weiterhin ein Risiko. Entsprechend fordern Institutionen wie OpenAI oder der European AI Act, dass die menschliche Kontrolle (Human Oversight) bei KI-gestützten Personalauswahlprozessen gesetzlich garantiert bleibt.

Der Mensch im Mittelpunkt: Warum KI nicht allein entscheiden sollte

Trotz aller Fortschritte bleibt klar: KI kann unterstützen, aber nicht ersetzen. Sie erkennt Muster – aber sie versteht nicht. Menschliche Potenziale, wie Teamfähigkeit, kulturelle Passung oder Veränderungsbereitschaft, lassen sich nicht allein durch Daten abbilden.

So kann eine KI beispielsweise feststellen, dass ein Bewerber häufig das Wort „Ich“ verwendet. Ob das jedoch auf Selbstbewusstsein oder Egozentrik schließen lässt, ist kontextabhängig – und somit eine Frage menschlicher Interpretation.

Ebenso unterliegt jedes Training der KI den Mustern und Verzerrungen der Datengrundlage. Amazon etwa stoppte 2018 ein KI-Recruiting-Tool, weil es Bewerbungen von Frauen systematisch abwertete – auf Basis historischer Daten aus einer zum Großteil männerdominierten Techwelt.

Die Herausforderung lautet also: technologische Effizienz mit menschlicher Urteilskraft zu kombinieren. In der Praxis bedeutet das, dass KI als Entscheidungsunterstützung fungieren kann – aber der finale Auswahlprozess bewusst menschlich bleibt.

Die Verantwortung darf nicht an Algorithmen ausgelagert werden.

Worauf sollten Personalerinnen und Personaler achten?

  • Transparenz: Wie wurde das KI-Modell trainiert? Nach welchen Kriterien bewertet es?
  • Validität und Fairness prüfen: Nutzt das Tool wissenschaftlich anerkannte Standards (zum Beispiel DIN 33430, ISO 10667)?
  • Datenschutz: Bewerberdaten müssen DSGVO-konform verarbeitet werden – insbesondere biometrische Daten aus Videos.
  • Rechtliche Grundlage: Gemäß Artikel 22 DSGVO darf keine vollautomatisierte Entscheidung über eine Bewerbung erfolgen.
  • Bias Monitoring: Algorithmen sollten regelmäßig auf Diskriminierungsrisiken geprüft und intern wie extern auditiert werden.

Fazit: KI ist Werkzeug, kein Entscheider

Der Einsatz von KI in der Eignungsdiagnostik ist sinnvoll – solange sie nicht zur alleinigen Entscheidungsinstanz wird. Sie kann Vorurteile reduzieren, Prozesse beschleunigen und Strukturen objektivieren. Doch am Ende braucht es den Menschen, der Potenziale erkennt, Kontext versteht und ethisch handelt.

Die Zukunft liegt nicht im Ersatz, sondern in der Ergänzung: KI als Assistenzsystem, das objektive Daten liefert – und der Mensch als reflektierte Instanz, die auf Basis dieser Daten fundierte Entscheidungen trifft. Nur so wird aus digitaler Effizienz auch nachhaltige Personalarbeit.

Dazu im Management-Handbuch

Weiterlesen

Vorlagen nutzen

Excel-Tipps