China+1-StrategienAlternative Beschaffungs- und Absatzmärkte zu China finden

Welche Gründe haben zur neuen China-Strategie geführt? Der Artikel reflektiert die China-Skepsis aufgrund aktueller Entwicklungen und gibt einen Ausblick auf Standortalternativen in Südostasien. „De-Risking, China+1“ – südostasiatische Länder als Standortalternative zu China.

Risiko China als Beschaffungsmarkt und Absatzmarkt

Im Juli 2023 hat die deutsche Bundesregierung erstmals ihre neue China-Strategie veröffentlicht. Deren wichtigste Sätze lauten:

„Deutschland hält an der wirtschaftlichen Verflechtung und den engen Handelsbeziehungen mit China fest. Künftig wird es aber darum gehen, die ökonomische Resilienz zu erhöhen und Risiken zu mindern. Insbesondere in kritischen Bereichen will die Bundesregierung Abhängigkeiten verringern und die Wirtschaftsbeziehungen insgesamt diversifizieren …“

Welche Gründe sind ursächlich für die China-Skepsis in Deutschland seit 2022?

Die strenge chinesische Corona-Politik, dadurch verursachte Reisebeschränkungen und Lieferengpässe haben Probleme von Globalisierung und Just-in-Time-Verfahren offengelegt. Der Krieg Russlands gegen Ukraine ab 2022 hat die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen unterbrochen und globale Logistiknetze geschwächt.

Das chinesische Sozialkreditsystem wird in Deutschland als Mittel der Politik betrachtet, die eigenen Bürger zu überwachen. Es könnte auch negative Konsequenzen für deutsche Unternehmen in China implizieren.

Darüber hinaus gibt es eine Fülle weiterer politischer Veränderungen und Trends in China, die in Europa und vor dem Hintergrund des europäischen und demokratischen Wertesystems kritisch bewertet werden.

Die Industriepolitik Chinas

Über diese Wertekonflikte hinaus werden die drei großen industriepolitischen Initiativen Chinas zunehmend kritischer betrachtet:

Made in China 2025

Mit dem Vorsatz, bis 2025 das Niveau einer voll entwickelten Industrie zu erreichen, hat China Innovation, Forschung und Entwicklung massiv gefördert und subventioniert. China strebt die Technologieführerschaft in zehn definierten Branchen an – letztlich in denjenigen Branchen, in denen Deutschland bislang führend war.

Eine 2023 veröffentlichte Studie des IW zeigt nun die Konsequenzen: China macht Deutschland auf dem EU-Markt immer stärker Konkurrenz. In vielen Bereichen hat China seine Anteile an den EU-Importen zwischen 2020 und 2022 stark ausgebaut. Dies gilt vor allem auch für hochwertige Industriegüter, auf die deutsche Unternehmen bislang spezialisiert waren.

Auch die chinesische Subventionierung der E-Mobilität ist in der Kritik: Die EU will Maßnahmen treffen, um das Überschwemmen der Märkte mit günstigen chinesischen E-Autos zu verhindern.

BAT Economy

Im Technologiebereich hat China westlichen Unternehmen den Marktzugang erschwert oder verhindert, um selbst einschlägige Kompetenzen aufzubauen. Nach dem Muster der großen amerikanischen Technologieunternehmen sind chinesische Pendants entstanden, Baidu als Pendant zu Google, Alibaba zu Amazon, Tencent (WeChat) zu Facebook und viele mehr.

Die chinesischen Unternehmen können nun die Größenvorteile nutzen, die der heimische Markt bietet, und sie sind technologisch weit entwickelt.

Neue Seidenstraße oder Belt and Road Initiative (BRI)

China investiert in neue Straßen, Zugtrassen, Flughäfen, Beteiligungen an Häfen und in ein Netz von Verkehrs- und Handelswegen zwischen China und weiteren Ländern Asiens, Europas und Afrikas. Infrastruktur wird auch in Ländern aufgebaut, die eine moderne Verkehrsinfrastruktur selbst nicht finanzieren können.

China nimmt ein enormes finanzielles Risiko auf sich, schafft sich jedoch gleichzeitig Möglichkeiten der wirtschaftlichen und politischen Einflussnahme.

Warum empfiehlt die deutsche Regierung „De-Risking“ und nicht „Decoupling“?

Herrschte bis Ende der 2010er-Jahre noch der „Wandel-durch-Handel-Optimismus“ vor, so hat sich der Blick auf China nun geändert. Die skizzierten Gefahren haben in Deutschland eine Debatte um das Entkoppeln der Handelsbeziehungen zu China entfacht.

Im Extremfall würde „Decoupling“ bedeuten, keine Produkte mehr nach China zu liefern, keine mehr zu beziehen und auch gegenseitige Investitionen ausschließen.

Aber gute Gründe sprechen dafür, weiterhin mit China in Kooperation zu bleiben:

  • China war 2022 zum siebten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner.
  • China liefert Produkte auf hohem technologischem Niveau.
  • Bei den „Seltenen Erden“ nimmt China eine marktbeherrschende Stellung ein.
  • China ist zentrales Glied in globalen Lieferketten, beispielsweise bei Produkten für die von Deutschland angestrebte Energiewende: Mehr als 80 Prozent aller Solarzellen werden in China hergestellt.
  • In vielen Branchen, vor allem bei Maschinenbau, Automotive und Chemie, haben deutsche Unternehmen massiv in China investiert.
  • China ist für viele Unternehmen der wichtigste Absatzmarkt. Die deutschen Autobauer erwirtschafteten dort 2022 fast 40 Prozent ihres weltweiten Umsatzes.

Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China lässt keine Abkoppelung zu. Wohl aber empfiehlt sich deutschen Unternehmen eine Diversifizierung.

2023 wurde deshalb „De-Risking“ und „China+1“ zunehmend populär. Das bedeutet, dass zusätzliche Standorte neben chinesischen aufgebaut werden. Dafür infrage kommen neben Indien die ASEAN-Länder.

Welche Länder der ASEAN-Region bieten sich für „China+1-Strategien“ an?

ASEAN ist eine Vereinigung von zehn südostasiatischen Staaten. Die ASEAN-Region ist äußerst heterogen:

  • Brunei ist durch Öl- und Gasvorkommen reich und unabhängig.
  • Singapur ist eine der weltweit am weitesten entwickelten Volkswirtschaften.
  • Dem gegenüber stehen die armen und politisch unzuverlässigen Länder Laos, Myanmar und Kambodscha.
  • Viel Potenzial liegt in Malaysia, Thailand, Indonesien, Vietnam und den Philippinen.

Die ASEAN-Region als Ganzes betrachtet ist nach Indien und China mit ungefähr 680 Millionen Menschen die dritt-bevölkerungsreichste Region weltweit. Im Gegensatz zu China und Japan verfügt sie über eine junge, wachsende Bevölkerung. Das Durchschnittsalter liegt bei ungefähr 30 Jahren.

Wachsende Mittelschichten und eine junge Bevölkerung bieten Potenzial zur Erschließung neuer Märkte. Zunehmend entstehen wettbewerbsfähige Produktionszentren, Sonderwirtschaftszonen und Industrieparks in den Schwellenländern.

Für eine China+1-Strategie empfehlen sich vor allem die folgenden Länder:

Singapur

Das Handelszentrum der Region verfügt über politische Stabilität, rechtliche Zuverlässigkeit, eine hervorragende Infrastruktur und eine gebildete und englischsprachige Bevölkerung.

Der High Tech Standort hat bereits ein Freihandelsabkommen mit der EU. Trotz eines nur kleinen Binnenmarkts von rund 6 Millionen Einwohnern ist Singapur wichtigster Exportpartner und Abnehmer Deutschlands in der ASEAN Region; viele Exporte werden von Singapur aus weiterverteilt.

2023 sind rund 2.100 deutsche Unternehmen in Singapur angesiedelt. Allerdings wurde Singapur 2023 zur teuersten Stadt der Welt gekürt.

Als Produktionsstandort für verarbeitende Betriebe im Sinne von „China+1“ ist Singapur nicht geeignet – zu teuer, zu wenige Arbeitskräfte, kaum freie Produktionsflächen – wohl aber als Dienstleistungsstandort.

Malaysia

Im Aufstieg vom Schwellen- zum entwickelten Land konnten insbesondere in Bildung und Gesundheitsversorgung große Fortschritte erzielt werden. Eine gute Infrastruktur wurde aufgebaut.

Mit destabilisierenden politischen Turbulenzen oder Militärputschs ist nicht zu rechnen. In vielerlei Hinsicht wurden Anleihen genommen am benachbarten, hoch entwickelten Singapur, was sich auch auf das Geschäftsleben auswirkt.

Wie in Singapur ist Malaysia am englischen Rechtssystem orientiert. Kommunikation auf Englisch ist im Alltagsleben kein Problem mehr (English Skills Ranking Index auf Rang 24, Deutschland liegt im Vergleich dazu auf Rang 10).

Malaysia profitiert in vieler Hinsicht vom hoch entwickelten, jedoch sehr teuren Nachbarn: Singapur ist Vorreiter in Forschung und Entwicklung, aufgrund der hohen Kosten finden aber zunehmend Verlegungen von Unternehmen von Singapur nach Malaysia statt.

Derzeit ist Malaysia wichtigster Handelspartner Deutschlands innerhalb der ASEAN-Region, insbesondere für Elektronik. Die größte Rolle spielen Halbleiter, die nach Malaysia exportiert und dort veredelt werden, aber auch Medizintechnik und Herstellung von Desktop-Computer für globale Marken wie HP und Dell.

Indonesien

Indonesien ist mit einer großen, jungen Bevölkerung von fast 280 Millionen Menschen die größte Volkswirtschaft in Südostasien und gehört den G 20-Staaten an. In den vergangenen Jahren ist Indonesiens BIP jährlich zwischen 5 und 6 Prozent gewachsen.

Auch die Mittelschicht wächst: Das BIP pro Kopf von aktuell ca. 4.700 US-Dollar zeigt den Aufstieg in die sogenannten Upper Middle Income Economies. Wirtschaftliche Reformen sind zum Tragen gekommen, auch das Arbeitsrecht wurde reformiert.

Der Rohstoffreichtum steht neben geringem technischem Know-how und Technologieabhängigkeit, geschuldet einem noch relativ niedrigem Ausbildungsniveau.

Indonesien ist das Land mit dem größten Halal-Markt weltweit: Ungefähr 90 Prozent der Einwohner sind Muslime, was der Halal-Industrie Chancen bietet. Der Nahrungsmittelbereich ist importabhängig.

Energie wird staatlich subventioniert. Bislang wird relativ wenig  nach Indonesien exportiert, vor allem Maschinen; etwa 0,2 Prozent der deutschen Exporte. Zunehmend kommen Importe aus China, wie sich China in den letzten Jahren überhaupt zur Handelssupernation der ASEAN-Region entwickelt hat.

Der indonesischen Politik wird Wirtschaftsnationalismus vorgeworfen, insbesondere, seit die Ausfuhr von Nickelerz verboten wurde. Nickel hatte bislang Bedeutung für Edelstahl, seit einiger Zeit aber insbesondere für die Batterieproduktion für Elektrofahrzeuge. Diese hofft man, im Land zu entwickeln. Das in der E-Mobilität führende China hat sich hier jedoch bereits in hohem Maße Rechte gesichert.

Vietnam

Vietnam gilt als Deutschlands wichtigster Lieferant der ASEAN-Region. Exportiert werden vor allem Elektronik, Textilien, Schuhe, Möbel und Agrarerzeugnisse.

Ein wachsendes Bemühen um eine verbesserungsfähige Infrastruktur ist zu verzeichnen, der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur kommt voran. Die direkte Anbindung an China ist interessant für China+1-Strategien.

Zunehmend investieren auch chinesische Unternehmen in Vietnam. Zum einen, weil auch sie inzwischen De-Risking betreiben, zum anderen, weil die Bruttolöhne für Arbeitskräfte in Vietnam inzwischen weit unter den chinesischen liegen (rund 200 bis 400 US-Dollar pro Monat).

Die Produktivität wird noch als gering eingeschätzt, dennoch gelten die Arbeitskräfte als lern-, arbeits- und vor allem aufstiegswillig.

Mit fast 100 Millionen Einwohnern zeichnet sich auch ein wachsender Konsummarkt ab. Das BIP pro Kopf lag 2022 bei rund 4.000 US-Dollar. Die Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren durchschnittlich um 7 Prozent gewachsen.

Die Wirtschaftspolitik zeigt eine stetige Öffnung. Relativ niedrig ist die Körperschaftssteuer. Ein Freihandelsabkommen mit der EU existiert seit 2020.

Thailand

Mit über 70 Millionen Einwohnern und guter Infrastruktur zählt Thailand laut Human Development Index der UN inzwischen zu den gut entwickelten Ländern. Das BIP pro Kopf liegt 2022 bei rund 7.000 US-Dollar jährlich. Das Wirtschaftswachstum lag in den vergangenen Jahren bei durchschnittlich unter 4 Prozent.

Die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit der EU wurden wieder im März 2023 wieder aufgenommen. Rund 600 deutsche Unternehmen sitzen in Thailand. Thailand ist wichtiger Handelspartner für Deutschland.

Deutsche Exportgüter sind vor allem Chemie, Maschinen, Kfz, Fahrzeugteile und Elektronik. Deutsche Importgüter aus Thailand sind Elektronik, Maschinen, Elektrotechnik.

Thailand ist ein regionales Zentrum für die Automobilherstellung, zunehmend auch für Elektrofahrzeuge. Das Land ist eingeflochten in internationale Lieferketten, es existieren Industriecluster. Gefertigt wird auf relativ hohem Niveau. Thailand wird wachsende Technologiekompetenz zugebilligt.

Philippinen

Mit mehr als 113 Millionen Einwohnern sind die Philippinen nach Bevölkerungszahl der zweitgrößte Absatzmarkt der Region. Eine junge Bevölkerung (Durchschnittsalter rund 26 Jahre), ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich etwa 6 Prozent, relativ kostengünstige und gut ausgebildete Arbeitskräfte und vor allem Englisch als zweite Amtssprache neben Tagalog, sprechen für diesen Standort.

Die Philippinen sind importabhängig, exportiert werden vor allem Electronics. Verbesserungsbedürftig ist die Infrastruktur, ein Unterfangen, das mit 7.600 Inseln und insbesondere zum Jahreswechsel drohenden Taifunen nicht einfach ist.

Die Regierung hat massive Fördermaßnahmen angekündigt. Die philippinische Politik ist aus westlicher Sicht mit Skepsis zu betrachten. Die EU hat die Verhandlungen für Freihandelsabkommen 2023 wieder in Angriff genommen.

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