Personalentwicklung – System, Prozesse, ToolsPotenziale der Mitarbeitenden für Personalentwicklung einschätzen

Potenzialeinschätzung als methodische Herausforderung

Bei Personalbeurteilungen werden Leistungsbeurteilung und Potenzialeinschätzung unterschieden (siehe Abbildung 2).

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Abbildung 2: Leistungsbeurteilung und Potenzialeinschätzung

Leistungsbeurteilungen richten sich in die Vergangenheit und vergleichen die Ziele von Arbeit mit den Ergebnissen von Arbeit. Ohne Ziele oder zumindest Messgrößen (KPI) für Aufgaben kann eine Leistungsbeurteilung höchstens Verhalten überprüfen.

Der Blick der Potenzialeinschätzung ist in die Zukunft gerichtet. Im Mittelpunkt steht eine einfache Frage, die aber recht schwierig zu beantworten ist: „Traue ich ihr oder ihm die Übernahme einer anderen, vielleicht schwierigeren Position zu?“

Um diese Frage so fundiert wie möglich zu beantworten, werden zuerst die Anforderungen dieser Position beschrieben. Danach wird die Eignung der Person eingeschätzt, diese Anforderungen zu erfüllen. Alle Stellenbesetzungen – ob mit Bewerbern von außen oder mit Kandidaten aus dem Unternehmen – werden auf der Basis von Potenzialeinschätzungen vorgenommen.

Stellenbesetzungen auf der Basis von Leistungsbeurteilungen führen zu den altbekannten Konsequenzen des Peter-Prinzips. Es beschreibt pointiert, dass Beförderungen auf der Basis der Leistungsbeurteilung zwangsläufig dazu führen, dass jeder bis zur Ebene der eigenen Inkompetenz befördert wird, weil neue, andere, höherwertige Anforderungen von Positionen nicht berücksichtigt werden.

Methoden der Potenzialeinschätzung

Seit den 1980er-Jahren werden die Anforderungen durch Kompetenzen beschrieben, die eine Person besitzen sollte, um eine Position erfolgreich auszufüllen. Kompetenzen werden in Kompetenzmodellen zusammengefasst.

Davon gibt es reichlich und sicherlich mehr als Unternehmen, die solche Modelle anwenden. Wer es genau nimmt, müsste für jede Position auf allen Hierarchieebenen separate Kompetenzmodelle entwickeln. In der Regel werden sie jedoch nur für Führungspositionen entwickelt, was bei den Einschätzungsprozessen berücksichtigt werden sollte.

Hügel-Modell

Es gibt kaum richtige oder falsche Modelle, es gibt nur geeignete oder weniger gut geeignete Modelle. Um die Qualität eines Modells zu beurteilen, sollte mit dem Hügel-Modell deutlich werden, was bei Potenzialeinschätzungen wirklich passiert (Abbildung 3).

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Abbildung 3: Das Hügel-Modell zur Potenzialeinschätzung

Bei der Potenzialeinschätzung wird eine Person in den Mittelpunkt gestellt. Sie wird in ihrer Welt besucht, um zu prognostizieren, ob diese Person in einer Position mit anderen Anforderungen Probleme lösen wird oder vielleicht selbst zum Problem wird.

Das mögliche, zukünftige Verhalten hängt nicht nur von Persönlichkeitsvariablen ab, sondern auch von den beruflichen und privaten Entwicklungen. Ein unvorhergesehener Schicksalsschlag (Tod eines Angehörigen) oder die Konsequenzen einer neuen Lebenssituation (Heirat) können nicht prognostizierbare Veränderungen hervorrufen.

Alle Facetten einer Person, ihre Fähigkeiten, versteckten Potenziale, ihre Persönlichkeit, was auch immer diese Person an Stärken und Schwächen auszeichnet, sind sicherlich nicht zu erfassen.

Deshalb sollte die Person aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden, die als „Hügel“ dargestellt sind. Diese Hügel müssen aus den Anforderungen der zukünftigen Position abgeleitet werden. Ein Hügel könnte die Kompetenz „Unternehmerisches Denken und Handeln“ vertreten, ein anderer „Führung und Entwicklung von Mitarbeitenden“.

Abgesehen von einer gewissen Mindestanzahl von Hügeln, wächst die Qualität nicht mit der Zahl der Hügel. Es kommt darauf an, die richtigen Hügel für die Zielposition auszuwählen und die Person so aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Dabei ist auch nicht wesentlich, ob sich die Hügel nur begrifflich unterscheiden – in Abbildung 3 als Kompetenz 3 oder Kompetenz 3a dargestellt.

Qualitativ schlechte Modelle betrachten die Person von mehreren „Hügeln“ aus, die aber thematisch alle sehr nahe zusammen liegen. In Abbildung 3 sind das die Vierecke 1, 2 und 3. In diesem Fall dominiert eine Perspektive, während andere, wichtige Facetten der Person nicht berücksichtigt werden.

Schröder-Modell

Ein kompaktes Modell von Kompetenzfeldern, das sich durch eine Vielzahl von Projekten entwickelt hat, stellt Abbildung 4 dar. Basis ist das Funktionsmodell für Führungskräfte: Führungskräfte sind verantwortlich für Ergebnisse des eigenen Verantwortungsbereiches.

Führungstheorien müssen Lösungen liefern zur Frage: „Wie kann eine Führungskraft die richtigen Ziele zusammen mit motivierten, fähigen Mitarbeitenden und dem Team über geeignete Wege (= Aufgaben und Prozesse) erreichen?“

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Abbildung 4: Kompetenzmodell Dr. Schröder

Das Modell wird auf der Ebene der Kompetenzen unternehmensspezifisch konkretisiert und formuliert. Kompetenzmodelle bilden die spezifischen Anforderungen des Unternehmens ab. Außerdem sollten sie zusammen mit Führungskräften erarbeitet werden. Das hat folgende Vorteile:

  • Die Führungskräfte kennen die Positionen, aus denen die Kompetenzen abgeleitet werden sollen.
  • Der Erarbeitungsprozess stellt das erste Training auf dem Feld von Einschätzungsprozessen dar.
  • Die Führungskräfte wenden ein Instrument an, das sie selbst mit entwickelt haben.
  • Sie werden es schneller akzeptieren und leichter anwenden.
  • Betroffene werden Beteiligte.

Das Modell kann für Führungskräfte und Mitarbeitende verwendet werden. Die Kompetenzen können hinsichtlich der hierarchischen Ebenen mit wenig Aufwand differenziert werden.

In den Vorlagen im Praxisteil (unten) finden Sie ausführliche Beschreibungen zu den Kompetenzen, die auch an spezifische Bedingungen des Unternehmens angepasst werden können.

Fallen bei der Potenzialeinschätzung

Potenzialeinschätzungen sind nicht nur durch die Prognose von Verhalten schwierig. Kritisch ist auch, dass wir in Beurteilungsprozessen stark vom ersten Eindruck beeinflusst werden und dass wir Beurteilungsfehlern wie Halo-Effekt, Similaritäts-Effekt, Milde-Effekt oder der beschränkten Bewertungsspanne unterliegen:

  • Der Halo-Effekt beschreibt die Tendenz, aufgrund eines allgemeinen Eindrucks einen Mitarbeiter hinsichtlich jeder Kompetenz als „gut“ oder „schlecht“ einzustufen.
  • Der Similarität-Effekt ist die Tendenz, eine andere Person nach dem eigenen Abbild, der Ähnlichkeit mit der eigenen Person zu beurteilen.
  • Der Milde-Effekt ist die Tendenz, in formalen Beurteilungssituationen ein eher mildes Urteil abzugeben.
  • Die beschränkte Bewertungsspanne ist die Tendenz, sich selbst auf bestimmte Bewertungsmöglichkeiten zu beschränken, die durch Mittelwerte repräsentiert werden.
  • Klischees und Stereotypen, die auch den ersten Eindruck dominieren können, runden das Bild ab.

Erfahrungen zeigen aber, dass weitere Einflussgrößen berücksichtigt werden müssen:

Mitarbeitende oder Führungskräfte sollten zur Unternehmenskultur passen. Führungskräfte, die zum Beispiel in einem Großkonzern eine hervorragende Leistung gebracht haben, müssen nicht unbedingt in einem mittelständischen Unternehmen erfolgreich sein.

Ebenso ist es mit Führungskräften, die zum Beispiel im Handel erfolgreich waren und nun in eine andere Branche wechseln, wo andere Verhaltensweisen, Spielregeln und Perspektiven eine Rolle spielen. Dieses Passungsproblem wird durch ein Kompetenzmodell meistens nicht abgedeckt.

Außerdem gilt es, die Beziehungsebene zu berücksichtigen. Die „Chemie“ muss stimmen. Es ist geradezu unmöglich, über einen längeren Zeitraum mit jemandem zusammenzuarbeiten, über den man sich schon morgens ärgert, wenn die Arbeit noch gar nicht begonnen hat.

Kompetenzmodelle sind Hilfsmittel und Potenzialeinschätzungen werden erfolgreich, wählt man eine ganzheitliche, eine systemische Perspektive.

Praxis

Schätzen Sie Mitarbeiterpotenzial richtig ein

Der Blick der Potenzialeinschätzung ist in die Zukunft gerichtet. Im Mittelpunkt steht eine einfache Frage, die aber recht schwierig zu beantworten ist:

„Traue ich ihr oder ihm die Übernahme einer anderen, vielleicht schwierigeren Position zu?“

Um diese Frage so fundiert wie möglich zu beantworten, sollten Beurteilungsfehler vermieden werden. Außerdem ist es sinnvoll, das „Mehr-Augen-Prinzip“ anzuwenden. In einer Personalklausur sieht das praktisch wie folgt aus:

  • Führungskräfte schätzt mithilfe von Vorbereitungsunterlagen das Potenzial von Mitarbeitenden ein, die an sie berichten und denen sie eine Entwicklung zutrauen.
  • Mithilfe vorbereiteter Unterlagen stellt die Führungskraft Kandidaten mit Potenzial den Kolleginnen und Kollegen in der Klausur vor.

Nutzen Sie das folgende Arbeitsblatt zur Potenzialeinschätzung.

Mit diesem Arbeitsblatt wird dem wichtigsten Einschätzungsfehler methodisch vorgebeugt: Führungskräfte nutzen die bisherige Leistung als Grundlage für Entwicklungsentscheidungen.

Die Frage, ob ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin in einer anderen Funktion mit anderen Anforderungen ebenfalls gute Leistungen bringen kann und will, wird nicht gestellt.

Mit dieser Unterlage kommen Führungskräfte nicht daran vorbei, sich dazu Gedanken zu machen. Deshalb ist wichtig:

  • In der Regel kennen auch andere Führungskräfte den Kandidaten. Die Einschätzungen des Vorgesetzten werden diskutiert und aus anderen Perspektiven ergänzt.
  • Außerdem wird die Einschätzung mit den Einschätzungsergebnissen von anderen Kandidaten verglichen.
  • Das Mehr-Augen-Prinzip wird nicht nur in der Personalklausur angewendet. Auch Stellenneubesetzungen mit externen Bewerbern sind Potenzialeinschätzungen.
  • Ein Kompetenzmodell ist ein gutes Hilfsmittel für eine erfolgreiche Stellenbesetzung.

Die Potenzialeinschätzungskriterien können mit folgender Übersicht zu möglichen Kompetenzen angepasst werden.

Eine Regel gilt für Potenzialeinschätzungen:

Die Aussage: „Er oder sie hat kein Potenzial, um eine andere Stelle zu besetzen“, ist absolut zu vermeiden. Eine solche Aussage in Beurteilungs- oder Einschätzungsprozessen hat die größten Demotivationswirkungen. Die Aussage muss deshalb lauten: „Potenzial ist derzeit nicht abschätzbar.“

Wenn der Mitarbeiter richtig am momentanen Arbeitsplatz ist, aber andere Arbeitsplätze nicht übernehmen will, ist dieser Mitarbeiter trotzdem im Rahmen der Personalentwicklung zu beachten.

Bei tiefgreifenden Veränderungsprozessen, die zum Beispiel durch Digitalisierung ausgelöst werden, und bei der berechtigten Forderung an Mitarbeitende zum „Lebenslangen Lernen“ könnte dieser Mitarbeiter mittelfristig zu einem Risiko werden.

Dazu im Management-Handbuch

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