Szenario-TechnikSzenario-Transfer: Szenarien nutzen für die Unternehmensstrategie

Mit dem Szenario-Transfer leiten Sie aus Ihren Projektionen und Szenario-Beschreibungen strategische Optionen und Projekte für die Zukunft ab. Dabei prüfen Sie, welche Chancen und Potenziale einerseits und welche Risiken und Bedrohungen andererseits in den einzelnen Szenarien stecken. Daraus entwickeln Sie Ihre langfristige Unternehmensstrategie.

5. Szenario-Interpretation

Mit der Szenario-Analyse und der Szenario-Projektion in den Phasen 1 bis 4 der Szenario-Entwicklung haben Sie eine Fülle von Informationen gesammelt, um Ihre Ausgangssituation zu beschreiben, um Einflussfaktoren zu identifizieren und zu charakterisieren und um unterschiedliche Deskriptoren und Projektionen zu formulieren. Diese Informationen können Sie nun in Phase 5 für die Interpretation und für eine ausführliche Beschreibung Ihrer Szenarien und Ihrer Unternehmensstrategie nutzen.

Dazu fassen Sie in einem kreativen Prozess die Ergebnisse der Informationsrecherche und der Szenario-Entwicklung in Form einer „Story“ zu einer Szenarien-Beschreibung zusammen, auf die Sie sich im Rahmen Ihrer Strategieentwicklung einstellen wollen. Sie belegen Ihre Auswahl, Ihre Beschreibungen und Erläuterungen mit den Zahlen, Daten, Fakten und Beispielen, die Sie gesammelt haben.

Wählen Sie dazu unterschiedliche Szenarien aus. Die Szenarien können und sollten sich durchaus widersprechen, zumindest trennscharf formuliert sein. Denn erst dann wird die Weite des Szenarien-Trichters sichtbar. So kann es hilfreich sein, auch ein wenig realistisches Szenario zu beschreiben. Damit werden Eventualitäten, Worst-Cases oder Best-Cases sichtbar, die Potenzial für die Strategieplanung und die langfristige Unternehmensentwicklung bergen können.

6. Konsequenzenanalyse

Nun liegen die Szenarien ausführlich beschrieben vor. Das Management im Unternehmen kann sich unterschiedliche Bilder von der Zukunft des Unternehmens in seiner Umwelt machen. Die einzelnen Szenarien zeigen dazu, wie unterschiedlich sich das Umfeld für das Unternehmen entwickeln kann. Dies drückt sich in der Breite des Szenarien-Trichters und in der Variabilität möglicher Entwicklungen aus.

Doch was bedeutet das nun für das Unternehmen? In dieser Phase 6 zur Konsequenzenanalyse ermitteln Sie die Potenziale, Möglichkeiten und Chancen einerseits, sowie die Gefahren, Bedrohungen und Risiken andererseits für Ihr Unternehmen, die sich aus den Szenarien ergeben. Sie halten fest: Worauf müssen Sie sich jeweils einstellen?

Ziel der Konsequenzenanalyse ist: Auf der Basis der Szenarien mögliche Chancen und Risiken für ein Unternehmen zu erkennen, sie zu bewerten und daraus strategische Entscheidungen und damit verbundene Projekte, Aktivitäten und Maßnahmen abzuleiten.

Damit soll der direkte Bezug zu der unternehmerischen Fragestellung hergestellt werden, die zu Beginn des Szenario-Prozesses als Ausgangspunkt und Anlass formuliert wurde. Beispiele dafür sind:

  • Welche neuen Produktideen sollen verfolgt werden?
  • In welche Bereiche soll mehr Forschungsbudget investiert werden?
  • Mit welchen Akteuren oder Partnern sollte das Unternehmen in besonderer Weise zusammenarbeiten?
  • Wie kann es sich von Wettbewerbern langfristig besser abgrenzen?

Im Idealfall lassen sich aus der Szenarien-Beschreibung und den jeweiligen Chancen und Risiken solche strategischen Entscheidungen und Aktivitäten ableiten, die

  • Chancen möglichst frühzeitig nutzen,
  • Risiken rechtzeitig erkennen und in ihrer Wirkung eingrenzen.

7. Störereignisanalyse

Die Formulierung der Projektionen für die einzelnen Deskriptoren in die Zukunft ist zwar ein kreativer Prozess, er ist aber immer auch an die bestehende Vorstellungswelt derjenigen gebunden, die Szenarien entwickeln und beschreiben. Allzu oft kommt es dann doch zu einfachen Trendfortschreibungen; die Szenarien-Entwickler brechen zu wenig aus ihrer Vorstellungswelt aus. Sie können sich manche Entwicklungen gar nicht vorstellen.

Wer hätte vor dreißig Jahren an ein Produkt wie das Smartphone gedacht? Wer hätte vor fünfzehn Jahren den Atomausstieg in Deutschland prognostiziert? Wer hätte mit den weitreichenden Folgen einer Pandemie gerechnet? Die damit verbundenen Geschichten oder die dahinterstehenden Anlässe und Entwicklungen lehren, dass es immer wieder zu erheblichen und nicht vorhersehbaren Brüchen kommen kann, die einen besonders starken Einfluss auf die weitere Entwicklung haben können.

Solche radikalen Brüche können oft nicht vorhergesehen werden. Aber es kann bedacht werden, dass es zu irgendwelchen Brüchen, gleich welcher Art, kommt. Und das kann das Eintreten einzelner Szenarien oder ihre konkrete Ausgestaltung erheblich beeinflussen.

Aus diesem Grund wird in dieser Phase 7 der Szenario-Technik eine sogenannte Störereignisanalyse durchgeführt. Die zentralen Fragestellungen sind dabei:

  • Wie robust sind die Szenarien selbst gegenüber heute nicht erkennbaren Störereignissen?
  • An welchen Stellen könnten sich gänzlich andere Entwicklungen ergeben?
  • Welche besonderen Entwicklungen, die derzeit nicht absehbar sind, könnten positive Effekte auf das Szenario-Feld haben?
  • Welche Störereignisse können negative Effekte auf das Szenario-Feld haben?

Ziel dabei ist: Mögliche externe und interne, abrupt auftretende Ereignisse, die Ihr Unternehmen erheblich beeinflussen oder verändern können, zu sammeln, ihre Bedeutung zu erkennen, die Auswirkungen zu bewerten und angemessene Krisenpläne zu entwickeln. Dadurch werden noch einmal besondere Risiken sowie besonders kritische Erfolgsfaktoren für das Unternehmen sichtbar. Die Ergebnisse fließen in das Risikomanagement ein.

Hinweis

Störfall-Szenario und Risikomanagement verbinden

Sind die Auswirkungen sehr schwerwiegend, sollte zusätzlich ein Störfall-Szenario erstellt werden. Im Handbuch-Kapitel Risikomanagement finden Sie ausführliche Erläuterungen, wie Sie Ihr Unternehmen auf außergewöhnliche Situationen, Krisen und mögliche Schadensereignisse einstellen.

Mögliche Bereiche für Störereignisse können sein:

  • eine völlig neue Technologie oder Durchbruchinnovation
  • ein neuer besonders starker Wettbewerber
  • drastischer Konjunktureinbruch
  • Insolvenz des Unternehmens
  • Naturkatastrophe
  • plötzliche Gesetzesänderung
  • Erkenntnisse zur besonderen Gefährlichkeit eines Produkts
  • politische Instabilität
  • Krieg oder Bürgerkrieg

8. Szenario-Transfer

Das zentrale Ziel der Szenario-Entwicklung ist, eine langfristige Leitstrategie für das Unternehmen zu entwickeln. Sie beschreibt die strategischen Entscheidungen und die strategisch wichtigen Projekte, Aktionen und Maßnahmen der nächsten Jahre, die für die Umsetzung der Strategie notwendig sind. Diese letzte Phase 8 der Szenario-Technik fasst also die Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Szenario-Entwicklung in einem strategischen Aktionsplan zusammen.

Auf der Basis der Ergebnisse aus der Konsequenzenanalyse und den dort abgeleiteten Maßnahmen und Aktivitäten wird eine Leitstrategie formuliert. Die Leitstrategie orientiert sich dabei maßgeblich an den unterschiedlichen Szenarien. Möglich ist, dass die Strategie so formuliert wird, dass sie

  • robust genug ist, um dem größten Teil der Szenarien gerecht zu werden; sie bringt für das Unternehmen positive Ergebnisse, unabhängig davon, welches Szenario in Zukunft Wirklichkeit wird;
  • fokussiert ist auf ein bestimmtes Szenario, das als das wahrscheinlichste angesehen wird; sie bringt dem Unternehmen besondere Vorteile, wenn dieses Szenario eintritt, kann aber auch zu erheblichen Nachteilen führen, wenn ein anderes Szenario eintritt.

In beiden Fällen kann es hilfreich sein, Alternativstrategien festzulegen und ein spezielles Beobachtungssystem zu etablieren, dass die Entwicklung der Einflussbereiche und der Schlüsselfaktoren regelmäßig prüft, um gegebenenfalls schnell strategische Anpassungen vornehmen zu können.

Die Leitstrategie kann in drei Teilen formuliert werden:

  • generelle Stoßrichtung der Strategie, Vision, Mission, Leitbilder
  • Festlegung einer Corporate Identity und der wesentlichen Merkmale für die langfristige Einzigartigkeit im Wettbewerb
  • strategische Ausrichtung in einzelnen Bereichen in Bezug auf Zielgruppen, Geschäftsbereiche, Produkte, Technologieeinsatz oder Leistungsangebote; die strategischen Bausteine

Im Rahmen des Strategie-Controllings werden die Leitstrategie, die Ziele und Maßnahmen in messbare Indikatoren oder Kennzahlen übertragen. Im Rahmen der Umfeldbeobachtung werden diese Indikatoren und Kennzahlen regelmäßig erhoben, und ein Plan-Ist-Vergleich wird erstellt. Er macht sichtbar, ob die tatsächliche Entwicklung in Richtung des angenommenen Szenarios verläuft – oder nicht. Dieser Plan-Ist-Vergleich kann ebenfalls zeigen, ob und in welchem Maß die Strategieumsetzung gelingt. Gegebenenfalls sind Anpassungen bei den Zielen oder auch bei der Leitstrategie notwendig.

Beispiel Elektromobilität

Die Regierung in Deutschland hat vor wenigen Jahren eine Zunahme der Elektrofahrzeuge in Deutschland auf eine Million Pkw für das Jahr 2020 prognostiziert. Inzwischen zeigte sich, dass dieses Ziel bei Weitem nicht erreicht wurde. Das Fraunhofer ISI hat in einer Szenario-Studie im Jahr 2013 drei Szenarien herausgearbeitet, welche Verbreitung die Elektro-Pkw (inkl. Range Extender) haben könnten.

  • Pro-EV-Szenario: 2020 rund 1 Mio. Elektrofahrzeuge, 2016 rund 200.000 Fahrzeuge
  • Mittleres Szenario: 2020 rund 450.000 Elektrofahrzeuge, 2016 rund 80.000 Fahrzeuge
  • Contra-EV-Szenario: 2020 rund 100.000 Elektrofahrzeuge, 2016 rund 19.000 Fahrzeuge

Im Jahr 2016 gab es nur rund 34.022 Elektro-Pkw. Bis dahin zeichnete sich ab, dass am Ende das Contra-EV-Szenario eintreten wird. Da die Politik dies nicht hinnehmen wollte, ergriff sie zusätzliche Maßnahmen, um die Verbreitung von Elektro-Pkw massiv zu fördern und den Kauf attraktiver zu machen. Inzwischen liegen die Zahlen für das Jahr 2020 vor. Das Kraftfahrtbundesamt stellt fest, dass der Bestand rund 350.000 Elektro-Pkw beträgt. Damit liegt die Entwicklung knapp im Bereich des mittleren Szenarios.

Ein regelmäßiger Plan-Ist-Vergleich macht es also zumindest teilweise möglich, die Entwicklung zu beeinflussen und das Eintreten eines gewünschten Szenarios zu fördern oder zu beschleunigen. Genau das ist ein wesentlicher Zweck der Szenario-Technik.

Tipp

Strategien entwickeln auf der Grundlage von Szenarien

Nutzen Sie die Erkenntnisse Ihres Szenario-Projekts, um eine langfristige und erfolgreiche Strategie für Ihr Unternehmen zu entwickeln. Nutzen Sie dafür die Erläuterungen und die Vorlagen aus folgenden Handbuch-Kapiteln, die für die Strategieentwicklung geeignet sind:

Praxis

Szenario-Interpretation

Beschreiben Sie ausführlich Ihre wichtigen drei bis sechs Szenarien in Form konkreter Geschichten, indem Sie die jeweiligen Einflussbereiche, die Schlüsselfaktoren und Projektionen erläutern und durch die Ergebnisse Ihrer Recherche ergänzen.

Formulieren Sie für jedes Szenario:

  • einen anschaulichen Szenario-Titel
  • die zeitliche Perspektive
  • wichtige Schlüsselmerkmale auf der Grundlage der zu einem Szenario gehörenden Deskriptoren
  • Kernaussagen: „Das trifft ein …“
  • Belege anhand von Beispielen, Zahlen, Fakten, …

Halten Sie Ihre Szenario-Beschreibungen in der folgenden Vorlage fest.

Konsequenzenanalyse

Welche Empfehlungen leiten Sie für Ihre Unternehmensstrategie aus den jeweiligen Szenarien ab? Halten Sie dies in der folgenden Vorlage fest.

Störereignisanalyse

Was sind in Ihrem Fall mögliche Störereignisse? Welche Einflussfaktoren können betroffen sein? Was sind die Auswirkungen auf die Szenarien? Und wie ist das Szenarien-Feld oder Ihr Unternehmen davon betroffen?

Halten Sie mögliche Störereignisse sowie mögliche Reaktionen und Maßnahmen Ihres Unternehmens in der folgenden Vorlage fest.

Entwicklung einer Leitstrategie und einer langfristigen Unternehmensstrategie

Wie lautet nun die Leitstrategie für Ihr Unternehmen oder Ihren Geschäftsbereich? Was sind die zentralen Elemente Ihres strategischen Aktionsplans für die nächsten Jahre?

Formulieren Sie die wesentlichen Eckpunkte Ihrer langfristigen Strategie in der folgenden Vorlage.

Dazu im Management-Handbuch

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