Was versteht man unter psychischer Belastung am Arbeitsplatz?

Die Norm DIN EN ISO 10075-1 „Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung“ unterscheidet zwei Begriffe:

  • Psychische Belastung: Dieser Begriff fasst alle Einflüsse zusammen, die auf den arbeitenden Menschen psychisch einwirken.
  • Psychische Beanspruchung: Darunter versteht man die Auswirkung der psychischen Belastung auf Betroffene – abhängig von den jeweiligen Voraussetzungen. Zu den Voraussetzungen gehören zum Beispiel persönliche Bewältigungsstrategien oder Wesenseigenschaften. Es geht um die unmittelbaren Auswirkungen, nicht um die dauerhaften, langfristigen Effekte.

Psychische Belastung und psychische Beanspruchung am Arbeitsplatz sind Begriffe aus der Arbeitswissenschaft. Sie entstehen durch:

  • individuelle Anforderungen am Arbeitsplatz
  • die Tätigkeit selbst
  • die direkte Arbeitsumgebung

Was ist die Norm DIN EN ISO 10075?

Es handelt sich um eine international gültige Norm, in der Richtlinien der Arbeitsgestaltung hinsichtlich der psychischen Arbeitsbelastung beschrieben werden. Diese Norm gilt sowohl national als auch europäisch und weltweit.

Die Norm zur „Psychischen Belastung und Beanspruchung am Arbeitsplatz“ wurde erstmals im Jahr 2012 veröffentlicht und umfasst drei Teile. Sie ist aufgeteilt in die Bereiche:

  1. Allgemeines und Begriffe
  2. Gestaltungsgrundsätze (Richtlinien für die Arbeitsgestaltung)
  3. Grundsätze und Anforderungen an Verfahren zur Messung und Erfassung psychischer Arbeitsbelastung (Wie die psychische Belastung gemessen werden kann)

Welche rechtlichen Grundlagen sind wichtig?

Die psychische Belastung bei der Arbeit ist hinsichtlich des Arbeitsschutzes ebenso zu berücksichtigen wie die körperliche Arbeitsbelastung oder die Gefährdung durch Technik sowie Stoffe. Dies hat der Gesetzgeber im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) festgeschrieben (§ 5, Absatz 3, Ziffer 6).

Die psychische Belastung am Arbeitsplatz muss außerdem berücksichtigt werden, laut

  • Arbeitsstättenverordnung (§ 3 ArbStättV),
  • Betriebssicherheitsverordnung (§ 3 BetrSichV) und
  • Biostoffverordnung (§ 4 BioStoffV).

Zu berücksichtigen ist der Faktor der psychischen Belastung auch in der arbeitsmedizinischen Vorsorge, genauer in den Arbeitsmedizinischen Regeln (AMR), siehe AMR 3.1 und AMR 3.2.

Warum ist die psychische Belastung und Beanspruchung am Arbeitsplatz relevant?

Psychische Faktoren beeinflussen nicht nur das Denken und Fühlen, sondern auch das Verhalten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb ist es wichtig, dass Führungskräfte ebenso wie Mitarbeitende selbst wissen, wie die psychische Belastung am Arbeitsplatz reduziert werden kann. Das wirkt sich positiv aus auf

  • das Arbeitsergebnis,
  • den Krankenstand,
  • das Betriebsklima und
  • das Wohlbefinden der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters.

Die Folgen durch eine starke psychische Beanspruchung am Arbeitsplatz können schwerwiegend und langanhaltend oder sogar dauerhaft sein.

Trotzdem ist die psychische Beanspruchung nicht per se schädlich, sondern bis zu einem gewissen Grad normal bis positiv. Sie trägt zum Beispiel zur persönlichen Weiterentwicklung bei, wenn Personen Strategien zum Umgang mit psychischer Belastung entwickeln.

Wodurch entsteht eine psychische Belastung am Arbeitsplatz?

Die psychische Belastung bei der Arbeit wird in fünf verschiedene auslösende oder beeinflussende Bereiche unterteilt. Das sind:

  • Inhalt der Arbeit oder Arbeitsaufgaben: Umfang, Art …
  • Arbeitsorganisation: Arbeitsbeginn, Arbeitsdauer, Pausendauer …
  • soziale Beziehungen am Arbeitsplatz: Kontakt zu Führungskräften, Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen, Unterstützung durch das Management …
  • Arbeitsumgebung: Lärm oder Ruhe, ergonomischer oder körperlich belastender Arbeitsplatz …
  • Arbeitsgestaltung und Verwendung von Arbeitsmitteln: insbesondere relevant für „neue Arbeitsformen“ wie Homeoffice, Remote Work, flexible Arbeitszeiten …

Inwiefern hat sich die Belastung am Arbeitsplatz verändert?

Weil früher viel mehr Mitarbeitende unter physisch schlechteren Bedingungen gearbeitet haben (etwa in der Produktion), waren Umgebungsfaktoren wie schmutzige Luft, große Hitze oder die erforderliche Kraftanstrengung die größte Belastung. Inzwischen haben sich die Belastungsfaktoren vom physischen in den psychischen Bereich verlagert. Merkmale der Arbeit sind inzwischen:

  • Viele Informationen müssen in möglichst kurzer Zeit erfasst, verarbeitet und gemerkt werden.
  • Emotionen entstehen zwar, dürfen aber kaum oder gar nicht nach außen hin gezeigt werden. Betroffen sind vor allem Menschen in sozialen Berufen oder im Dienstleistungssektor.
  • Einzelne Mitarbeitende tragen mehr Verantwortung. Sie müssen viele Entscheidungen allein treffen, Aufgaben selbstbestimmt planen, zeitnah agieren und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen tragen.

Welche Modelle und Theorien beschreiben die psychische Belastung am Arbeitsplatz?

Die Belastung am Arbeitsplatz kann nicht gemessen werden. Es gibt jedoch einige Modelle, welche die wahrscheinliche Wirkung von verschiedenen Faktoren sowie Einflüssen auf den Menschen erläutern und somit greifbarer machen. Zu den wichtigsten Modellen gehören:

  • Das transaktionale Stressmodell besagt im Kern: Wissen Personen nicht, wie sie mit herausfordernden Situationen umgehen sollen, entsteht Stress.
  • Das Belastungs-Beanspruchungs-Modell unterscheidet Beanspruchung und Belastung im Sinne der Norm DIN EN ISO 10075-1.
  • Laut dem Modell der Gratifikationskrise entsteht Stress am Arbeitsplatz, wenn zwischen Leistung und Anerkennung oder Gehalt ein Ungleichgewicht herrscht. Wer sich dauerhaft unterbezahlt fühlt, empfindet dies als psychische Belastung, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken kann.

Wie lässt sich die psychische Belastung am Arbeitsplatz reduzieren?

Die psychische Belastung am Arbeitsplatz wird reduziert, wenn die Beanspruchung durch eine Über- oder Unterforderung sinkt. Die individuelle Verarbeitung von Informationen und Eindrücken funktioniert dann zuverlässiger. Neue oder bekannte Aufgaben werden besser oder schneller ausgeführt.

Je nach Beruf kann die psychische Belastung nur bis auf ein gewisses Maß gesenkt werden. Deshalb ist es wichtig, dass Mitarbeitende gute individuelle Voraussetzungen mitbringen oder ausbilden, die den Umgang mit der Belastung am Arbeitsplatz erleichtern.

Mitarbeitende profitieren hinsichtlich des Umgangs mit psychischer Belastung am Arbeitsplatz, wenn sie über

  • Erfahrung,
  • Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten,
  • eine positive Einstellung,
  • eine stabile Persönlichkeit und
  • ein hohes Selbstvertrauen

während unbekannter oder belastender Situationen verfügen. Arbeitgeber und Führungskräfte sollen den Betroffenen helfen, sich diese Kompetenzen anzueignen und auszubauen.

Besonders psychisch belastende Berufe sollten von Personen ausgeübt werden, die gute Grundvoraussetzungen mitbringen, wie emotionale Stabilität.

Beispiel: Psychische Belastung am Arbeitsplatz durch personelle Fehlbesetzung

Im Unternehmen ist eine Stelle in der Presseabteilung dringend zu besetzen. Intern beworben hat sich eine Mitarbeiterin, die Ihre Arbeit im Büro bisher hervorragend erledigt. Sie gilt als introvertiert, fokussiert und kreativ.

Nach Antritt der neuen Stelle stellt sich heraus: Die Mitarbeiterin fühlt sich durch das ständige Reisen wegen externer Pressetermine gestresst. Das Führen von Interviews strengt sie an. Der Umgang mit vielen fremden Menschen fällt ihr schwer. Die Fehlzeiten häufen sich nach einigen Monaten. Es unterlaufen häufig Fehler. Als Kollegin wird die Mitarbeiterin nicht mehr so geschätzt wie früher, weil sie häufig unfreundlich auftritt.

Das Beispiel verdeutlicht: Die Mitarbeiterin eignet sich aufgrund ihrer Persönlichkeit nicht für die Stelle. Die psychische Belastung wird dadurch zu hoch. Die Führungskraft sollte eine solche Situation frühzeitig erkennen.

Mögliche Lösungsansätze:

  • Probearbeiten anbieten, damit sich Mitarbeitende und Unternehmen ein genaueres Bild machen können.
  • Mithilfe eines zweiten Vorstellungsgesprächs oder durch ein Assessment-Center die Persönlichkeit besser kennen und einschätzen lernen.
  • Weiterbildung anbieten und neue Mitarbeitende gezielt schulen, damit sie sich der neuen Situation gewachsen fühlen.

Welche Folgen entstehen aufgrund psychischer Belastung am Arbeitsplatz?

Man unterscheidet zwischen den kurzfristigen und den langfristigen Folgen, wenn die psychische Belastung am Arbeitsplatz für die Betroffenen zu groß wird. Kurzfristig leiden Mitarbeitende unter akutem Stress. Sie fühlen sich ermüdet, die Konzentration leidet und die Arbeit wird durchgehend als Belastung empfunden.

Langfristig entstehen folgende Probleme:

  • höhere Fehlzeiten
  • mehr Konflikte mit Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten
  • Unzufriedenheit bis hin zur inneren Kündigung
  • psychische oder körperliche Krankheiten

Doch es gibt auch mögliche positive Folgen einer hohen psychischen Belastung. Beispielsweise:

  • Kompetenzentwicklung
  • Erfahrungsgewinn
  • gesteigertes Selbstwertgefühl durch Erfolge

Laut der DIN EN ISO 10075-1 hängt es vor allem von den individuellen Bewältigungsstrategien und Voraussetzungen ab, ob sich eine psychische Belastung am Arbeitsplatz negativ auf die Gesundheit des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin auswirkt – und somit auf das Unternehmen.

Welche Verantwortung tragen Führungskräfte?

Führungskräfte sind nicht nur für die Personalplanung, die Steuerung von Projekten und die Vergabe von Aufgaben zuständig. Sie sorgen auch dafür, dass sich Mitarbeitende ihren Aufgaben gewachsen fühlen können. Sie haben eine Fürsorgepflicht. Wer gut vorbereitet, ausreichend qualifiziert und innerlich stark ist, geht mit psychischer Beanspruchung konstruktiv um.

Führungskräfte

  • führen regelmäßig Gespräche mit einzelnen Mitarbeitenden und dem Team;
  • wissen, ob sich die Mitarbeitenden wohlfühlen;
  • schaffen Konflikte zeitnah aus der Welt;
  • fördern das Erleben von Erfolg.

Die Führungskraft sollte zudem angemessene Ziele vereinbaren, die individuell auch tatsächlich erreicht werden können. Reichen fachliche oder persönliche Qualifikationen nicht aus, werden sie durch Schulungen oder Coachings verbessert.

Mitarbeitende werden erst mit zunehmender Betriebszugehörigkeit und mehr Erfahrung resistenter gegen psychische Belastungen. Daher werden neue Mitarbeitende, sehr junge Arbeitnehmer und Auszubildende gesondert unterstützt – am besten von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen. Die Führungskraft teilt einen Ansprechpartner zu.

Wie werden negative Folgen durch die psychische Belastung am Arbeitsplatz vermieden?

Arbeitgeber haben laut Gesetz die Aufgabe, psychische Gefährdungen zu ermitteln, zu beurteilen und zu verhindern – soweit möglich. Sind die psychischen Belastungen kritisch ausgeprägt, gelten sie im Sinne des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) und der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) als relevant.

Arbeitgeber können Folgendes unternehmen, um negative Folgen durch psychische Belastung am Arbeitsplatz zu vermeiden:

Handlungsspielraum geben

Die psychische Belastung sinkt, wenn Mitarbeitende sowohl die Arbeitsmittel als auch die Arbeitsweise selbst wählen. Darf etwa die Reihenfolge der Aufgabenbearbeitung selbst bestimmt werden, steigert das die Motivation. Das wirkt sich wiederum positiv auf die Stressresistenz aus.

Arbeitsintensität abstimmen

Das Arbeitspensum und die verfügbare Arbeitszeit werden angemessen aufeinander abgestimmt, um Zeitdruck zu vermeiden. Natürlich darf es Ausnahmen geben, wenn etwa saisonbedingt mehr Arbeit bei gleicher Zeit anfällt.

Angenehmes Betriebsklima und gute Führung etablieren

Sozialer Zusammenhalt und das Gefühl von Fairness im Unternehmen geben Mitarbeitenden Halt. Die psychische Belastung nimmt außerdem ab, wenn Vertrauen in die Führungskraft besteht.

Work-Life-Balance verbessern

Wenn die persönlichen Arbeitszeiten verlässlich gestaltet werden, dann kann die psychische Belastung der Betroffenen abnehmen. Dazu gehören:

  • Mindestens die Regelungen aus dem Arbeitszeitgesetz werden eingehalten.
  • Überstunden sollten möglichst nicht anfallen.
  • Überstunden werden zeitnah in Form von Freizeit ausgeglichen.

Auch hier gilt: Es darf – zeitlich begrenzte – Ausnahmen geben.

Schichtarbeit muss entsprechend der aktuellen arbeitswissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen gestaltet werden.

Arbeitsplatzunsicherheit vermeiden

Wer sich dauerhaft um den Verlust des Arbeitsplatzes sorgt, wird psychisch belastet. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen eine Kultur der Wertschätzung etablieren und deutlich machen, dass der Arbeitsplatz im Unternehmen gesichert ist. Führungskräfte sollten nicht einen möglichen Verlust des Arbeitsplatzes thematisieren, nur um Druck aufzubauen.

Sollte eine Stelle wegfallen oder muss ein Mitarbeiter in einen anderen Bereich wechseln, dann sollte dies frühzeitig und eindeutig erklärt werden. Zudem sollte dem Betroffenen eine Perspektive vermittelt werden; zum Beispiel in Form einer Qualifizierung, einer ausführlichen Einarbeitung, eines Bestandsschutzes beim Gehalt oder durch Hilfe bei der Suche nach einem neuen Arbeitgeber.

Mitarbeitende qualifizieren

Sind Personen für Ihre Rolle, die Position und die Aufgaben qualifiziert, sinkt die psychische Belastung. Wer Stress reduzieren möchte, schult Mitarbeitende, sobald größere Veränderungen im gesamten Unternehmen, für die Stelle oder im Bereich anstehen.

Praxis

Fragebogen zur psychischen Belastung am Arbeitsplatz

Nutzen Sie diesen Fragebogen, um herausfinden, ob Ihre Mitarbeitenden unter (zu hoher) psychischer Belastung am Arbeitsplatz leiden.

Sie geben die Vorlage an die Beschäftigten aus, sodass jeder das Dokument für sich ausfüllt und Sie die Antworten anschließend auswerten können. Sofern Sie eine anonyme Befragung durchführen möchten, wird der Bereich für die persönlichen Daten nicht ausgefüllt.

Bedenken Sie: Wenn die Personaldaten zusammen mit den Antworten erfasst werden, können Sie gezielt auf einzelne Mitarbeitende zugehen. Andererseits werden viele Beschäftigte nur dann ehrlich antworten, wenn sich keine Rückschlüsse auf deren Person ziehen lassen.

Alternativ füllen Sie den Fragebogen gemeinsam mit den Mitarbeitenden aus – zum Beispiel im Zuge eines Mitarbeitergesprächs.

Werten Sie die ausgefüllten Fragebögen aus und überlegen Sie:

  • Sind meine Mitarbeitenden psychisch am Arbeitsplatz stark belastet?
  • Wirkt sich die Belastung negativ aus?
  • Können negative Folgen abgemildert werden?
  • Wie kann ich den Mitarbeitenden helfen, konstruktiver mit der Belastung umzugehen?
  • Kann die Belastung durch andere äußere Umstände und veränderte Rahmenbedingungen verringert werden?
  • Was kann entsprechend geändert werden?

Dazu im Management-Handbuch

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