Mit Preisuntergrenze und Preisobergrenze arbeiten

Viele Preisfestlegungen erfolgen aus dem Bauch heraus. Manchmal lässt sich für ein etabliertes Produkt gar nicht mehr genau sagen, warum ein bestimmter Preis dafür festgesetzt wurde. Oft orientieren sich die Unternehmen am Wettbewerb. In jedem Fall sollten sie mit dem Preis die eigenen Kosten wieder erwirtschaften. Deshalb werden Preise einfach aus den Selbstkosten plus eines Zuschlages für den gewünschten Gewinn gebildet.

Schon etwas differenzierter geht ein Unternehmen vor, das seine Kunden genau analysiert und deren Zahlungsbereitschaft ermittelt. Dadurch kann deutlich werden, dass es unterschiedliche Kundengruppen gibt, die jeweils eine ganz andere Zahlungsbereitschaft zeigen. So legen die Kosten die Preisuntergrenze, der Wettbewerb und die Zahlungsbereitschaft der Kunden die Preisobergrenze fest. Die Spanne dazwischen ist der Preisspielraum – bei genauem Hinschauen und differenziertem Vorgehen ist der oft größer als die Unternehmensleitung oder das Marketing glaubt.

Abbildung 9 zeigt, wie sich dieser Spielraum für die Preisgestaltung visualisieren lässt. Die Grafik soll veranschaulichen, dass ein Unternehmen weitgehend frei ist, welchen Preis es für ein konkretes Produkt festlegt. Es muss nur damit rechnen, dass sich der Absatz, die verkaufte Menge sowie daraus abgeleitet Umsatz und Gewinn entsprechend einstellen. Das ergibt sich durch die Wettbewerber und ihre Konkurrenzpreise sowie die Kunden und deren Erwartungen und Anforderungen in Bezug auf den Preis.

Abbildung 9: Spielraum für die Preisgestaltung

Preisuntergrenze ermitteln

Welche Kostenbestandteile für die Preisuntergrenze in Betracht gezogen werden, die gesamten Stückkosten oder nur die variablen Kosten, hängt vom Betrachtungszeitraum ab. Kurzfristig kann es genügen, nur die variablen Kosten oder nur einen Teil der Fixkosten zu decken. Deshalb wird entsprechend auf die unterschiedlichen Arten der Deckungsbeiträge geschaut. Langfristig müssen die Gesamtkosten gedeckt sein.

Die Preise der Wettbewerber, die um die gleiche Zielgruppe buhlen, lassen sich durch Marktbeobachtung bestimmen. In manchen Fällen ist das vergleichsweise einfach (Lebensmittel im Supermarkt), in anderen sehr schwierig (Produkte und Dienstleistungen eines Anlagenbauers). Darüber hinaus muss abgeschätzt werden, welche Vorteile der Wettbewerb am Markt erzielen kann, wenn man selbst die Preise ändert, also senkt oder erhöht. Außerdem wichtig: Wie wird der Wettbewerb auf die eigene Preisänderung reagieren und welche Preisstrategien verfolgt er selbst?

Preisobergrenze ermitteln

Schwierig ist es, die Zahlungsbereitschaft der Kunden zu ermitteln, aus der sich die Preisobergrenze bestimmen lässt. Sie hängt von vielen Einflussfaktoren ab, die in den vorigen Abschnitten dieses Kapitels beleuchtet und erläutert sind. Maßgeblich ist, welche Kundengruppe oder welches Kundensegment angesprochen wird und welche Preissensibilität diese hat. Die Zahlungsbereitschaft der Kunden drückt sich in der Preis-Absatz-Funktion aus.

Zudem ist die Zahlungsbereitschaft der Kunden eine Folge komplexer Beurteilungs- und Verhaltensmerkmale, die sich aus dem Preiswissen, der Preiswahrnehmung und dem Preislernen ergeben. Der Kunde bewertet in den meisten Fällen nicht allein den Preis, sondern setzt diesen ins Verhältnis zur Leistung, die er dafür erhält – und die kann sich zwischen den einzelnen Wettbewerbern erheblich unterscheiden.

Um die Zahlungsbereitschaft der Kunden im Wettbewerb mit anderen Anbietern zu ermitteln, gibt es unterschiedliche Methoden. Die einfache Abfrage: „Welchen Preis würdest du, lieber Kunde, maximal für dieses Produkt bezahlen?“ bringt meistens keine verlässlichen Ergebnisse. Was hilft, sich diesem Wert zu nähern und ihn in etwa zu bestimmen, ist:

Target Pricing

Im Rahmen des Target Pricing wird die Preisbildung und die Kostenzulässigkeit konsequent aus Sicht des Kunden betrieben. Wichtig ist dabei, die Leistungen und Produktfunktionen aufeinander abzustimmen. Welche Leistungen für den Kunden von Bedeutung sind – und für welche er entsprechend zahlungsbereit ist – lässt sich beispielsweise mit dem Kano-Modell oder der Methode des Quality Function Deployment ermitteln.

Conjoint-Analyse

Mit der Conjoint-Analyse wird mit ausgewählten Personen aus der Zielgruppe ein Experiment durchgeführt. Sie erhalten eine Auswahl von Produkten mit unterschiedlichen Merkmalen und Preisen. Für diese sollen sie im Paarvergleich angeben, welche Preis-Leistungs-Variante sie bevorzugen. Daraus ergeben sich kundenspezifische Nutzenbewertungen und Preis-Absatz-Funktionen. Mit diesen lassen sich Zahlungsbereitschaft und Preisobergrenzen ermitteln.

Fragen zur Nutzung der Preisspielräume

Beim Preismanagement geht es aber nicht nur darum, eine Preisobergrenze zu ermitteln und die maximale Zahlungsbereitschaft des Kunden abzuschöpfen. Da es von vielen Faktoren abhängt, welcher Preis am Markt zu erzielen ist, müssen weitere, spezielle Fragen beantwortet werden, die mit der Preisgestaltung auf der operativen Ebene verbunden sind. Die Antworten zeigen auf, wie der Preisspielraum richtig genutzt werden kann, sodass Unternehmens- und Marketingziele erreicht werden. Beispiele für solche Fragen sind:

  • Um welchen Betrag kann der Preis erhöht werden, ohne dass der Gewinn verringert wird?
  • Wie reagieren Kunden und Wettbewerber bei einer Preiserhöhung oder Preissenkung?
  • Welche Auswirkungen hat die Preisfestlegung auf die Position des Unternehmens im Preis-Leistungs-Portfolio im Vergleich zu Wettbewerbern?
  • Wie soll sich der Preis im Laufe der Produktlebensdauer verändern?
  • Wie sollen Preise kommuniziert werden?
  • Sind Sonderangebote sinnvoll?
  • Welche Wirkung haben einheitliche Preise gegenüber differenzierten Preisen?
  • Welche Vorteile hat eine Flatrate?

Mit Preisen die Kundenbeziehung aufbauen und pflegen

Wenn Sie für Ihre Produkte einen konkreten Preis festlegen wollen, dann sollten Sie beachten, dass Sie damit nicht nur das Kaufverhalten beeinflussen, sondern die Beziehung zwischen Ihrem Unternehmen und den Kunden insgesamt. Zeigen Sie deshalb mit dem Preis, dass Sie den Kunden nicht übervorteilen. Der Preis sollte fair und nachvollziehbar sein. Das gilt vor allem dort, wo Sie dem Kunden nicht nur einmalig Ihr Produkt verkaufen wollen, sondern langfristig den Kunden binden wollen.

Wählen Sie einen Preis, bei dem der Kunde den Eindruck gewinnt: Ja, dieses Angebot sollte ich mir genauer anschauen. Machen Sie mit dem Preis immer sichtbar, welche Leistung der Kunde dafür erhält. Er muss einen Preis entrichten, was für ihn einen Verlust bedeutet und grundsätzlich negativ bewertet wird. Er erhält dafür aber eine Leistung und einen Nutzen, was für ihn einen Gewinn bedeutet und positiv gesehen wird. Unter dem Strich muss für den Kunden ein positives Ergebnis stehen – nicht nur logisch und rational, sondern auch emotional. Dazu müssen Sie wissen, wie der Kunde den jeweiligen, für ihn spezifischen Nutzen wertschätzt oder benötigt.

Oft – nicht immer – ist es hilfreich, Preise und die Zusammensetzung eines Preises transparent zu machen. Kunden schätzen es, wenn sie erkennen, warum dieser Preis festgelegt wurde und wie er sich zusammensetzt. Dann entstehen Preisvertrauen, Preisfairness und eine positive Einstellung des Kunden zu Ihrem Unternehmen und Ihren Preisen.

Preismanagement bei mehreren Produkten und unterschiedlichen Preisen

Darüber hinaus gibt es weitergehende Möglichkeiten für das Preismanagement und eine differenzierte Preisgestaltung. Das sind:

  • Preisdifferenzierung: Für ein und dasselbe Produkt oder Produktvarianten werden unterschiedliche Preise festgelegt.
  • Preisbündelung: Mehrere Produkte werden zu einem Paket zusammengeschnürt und kombiniert (Bundling); diese Produktpakete oder Produktbündel erhalten dann einen gemeinsamen Preis.

Der Preis für ein Produkt kann erheblich variieren – insbesondere in Abhängigkeit davon, wo man ein Produkt erwirbt. Das situative Umfeld beeinflusst, welchen Preis ein Kunde bezahlt. Dementsprechend kann der Preis an dieses Umfeld angepasst werden: Der Preis einer Flasche Limonade beträgt im Supermarkt wenige Cent. Die gleiche Limonade wird in der Minibar eines Hotels für mehrere Euro verkauft. In beiden Fällen gibt es Kunden, die dieses identische Produkt für den angegebenen Preis kaufen.

Das macht deutlich, dass Anbieter erhebliche Spielräume für eine differenzierte Preisgestaltung haben und den Preis für ein Produkt unterschiedlich festlegen können – je nachdem, in welcher Kaufsituation und Kauferwartung sich der Kunde befindet. Wichtig ist: das situative Umfeld genau zu verstehen und die Situation der Kunden genau zu kennen. Dabei reagieren nicht alle Kunden gleich. Deshalb sind Kundenanalyse und Kundensegmentierung im Vorfeld der Preisgestaltung wichtig.

Praxis

Preisspielräume erkunden und erkennen

Mit Preismanagement und Preisgestaltung ermitteln Sie für den Einzelfall, welchen Preis ein Produkt haben soll. Im einfachsten Fall geht es beim Preismanagement darum, den idealen, im Allgemeinen gewinnmaximalen Preis zu finden. Motto: ein Produkt – ein Preis. Dazu müssen Sie analysieren:

  • Welche Einstellungen haben die Kunden zum Preis?
  • Welche Unterschiede gibt es dabei und welche Kundensegmente lassen sich daraus ableiten?
  • Welche Zahlungsbereitschaft haben diese einzelnen Kundensegmente?
  • Was ist dementsprechend eine Preisobergrenze?
  • Lässt sich diese Preisobergrenze im Wettbewerb mit anderen Anbietern durchsetzen?
  • Liegt die Preisobergrenze über der Preisuntergrenze, die sich aus Selbstkosten und Gewinnzuschlag ergibt?
  • Welcher Preisspielraum eröffnet sich zwischen Preisuntergrenze und Preisobergrenze?
  • Wie ist die Preiselastizität für die einzelnen Kundensegmente?
  • Welche Preis-Absatz-Funktion gilt für diese Kundensegmente?

Wer seine Kunden genau analysiert hat und seine Preis-Absatz-Funktion kennt, kann den aus betriebswirtschaftlicher Sicht optimalen Preis bestimmen, bei dem der Gewinn mit dem Produkt maximiert wird.

Preisoptimum rechnerisch ermitteln

Um bestehende Preisspielräume und Gewinnpotenziale auszuloten, kann im nächsten Schritt der Preis verändert werden. Je nachdem, wie sich die Absatzmenge dadurch verändert, ergeben sich neue Gewinnschwellen. Sie können so unterschiedliche Preise betrachten und die Effekte auf Absatzmenge und Gewinn einschätzen. Einen Eindruck vermittelt das Beispiel in der folgenden Excel-Tabelle.

Wenn die Preis-Absatz-Funktion nicht exakt bekannt ist, wenn Kunden die Preise der Wettbewerber genau kennen und vergleichen oder wenn andere Faktoren des Kundenverhaltens eine Rolle spielen, sollten Sie unterschiedliche Preis-Szenarien betrachten und beurteilen. Dabei schätzen Sie für unterschiedliche Preise die jeweils möglichen Absatzmengen und berechnen dann nach Abzug der Kosten die jeweiligen Gewinne.

Mit einem Entscheidungsbaum, wie er in der folgenden Vorlage abgebildet ist, lassen sich mögliche Preisentscheidungen und ihre Wirkungen sichtbar machen. Damit werden Handlungsoptionen für die Preisoptimierung herausgearbeitet. Oder es lässt sich erkennen, welche Risiken und unerwünschten Effekte drohen.

Preisuntergrenze kennen

Maßgeblich für die Bestimmung der Preisuntergrenze sollten – zumindest mittel- und langfristig – die Kosten sein. Im Allgemeinen werden diese mit den üblichen Verfahren der Kostenträgerstückrechnung bestimmt. Mit den folgenden Excel-Tabellen berechnen Sie die Verkaufspreise für selbst hergestellte Produkte mithilfe einer einfachen Zuschlagskalkulation oder für Handelswaren auf der Basis der entstandenen oder kalkulierten Kosten. Daraus ergeben sich die Preisuntergrenzen.

Eine differenzierte Zuschlagskalkulation für einzelne Kundenanfragen und spezielle Angebote (für Projekte) können Sie mit der folgenden Excel-Vorlage durchführen und damit den Preis bestimmen, den Sie in Ihr Angebot mindestens schreiben sollten, um Ihre Kosten zu decken.

Wenn Sie die Preise mehrerer Produkte aufeinander abstimmen wollen, müssen Sie die fixen Kosten richtig verteilen. Mit der folgenden Excel-Vorlage ermitteln Sie die Preisuntergrenze entsprechend für die Fälle, dass Sie:

  • nur die variablen Kosten decken wollen
  • variable und fixe Kosten des Produkts und der Produktgruppe decken wollen
  • einen vorgegebenen Gewinn (hier NOPAT) erzielen wollen

Mit der folgenden Excel-Vorlage können Sie unterschiedliche Szenarien analysieren. Sie erfassen zunächst Umsatz und Kosten für das betrachtete Produkt (Ist-Situation). Dann prüfen Sie, welche Effekte es auf Kosten, Umsatz und Gewinn hat, wenn Sie Investitionskosten oder Materialkosten reduzieren, um die Preisuntergrenze zu senken. Das kann notwendig sein, wenn Wettbewerber das Produkt unterhalb Ihrer aktuellen Preisuntergrenze anbieten. Außerdem prüfen Sie, welchen Effekt es hat, wenn Sie den Preis erhöhen (um die höheren Kosten zu decken).

Preiswirkungen und Marketingziele abstimmen

Beachten Sie bei der Festlegung des optimalen Preises immer, welche Auswirkungen er auf die Kundenbeziehung hat. Nicht immer ist das wichtigste Ziel, den kurzfristig maximalen Gewinn zu erwirtschaften. Klären Sie deshalb:

  • Sind Sie an einer langfristigen Beziehung zu dem Kunden aus Ihrem jeweiligen Kundensegment interessiert?
  • Wie beurteilt der Kunde den gewählten Preis? Ist der Preis aus Sicht des Kunden fair, angemessen und transparent?
  • Überwiegt aus Kundensicht der Produktnutzen den Produktpreis? Inwiefern?
  • Welche Preise sind richtig, wenn Sie den langfristigen Kundenwert steigern und den langfristig optimalen Kundendeckungsbeitrag erzielen wollen?

Im folgenden Abschnitt werden zwei wichtige Instrumente des Preismanagements und der Preisgestaltung erläutert: die Preisdifferenzierung und Preisbündelung. Damit erhalten Sie weitere Möglichkeiten, Preisspielräume zu schaffen und unterschiedliche Zahlungsbereitschaften der Kunden zu nutzen.

Dazu im Management-Handbuch

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